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Ein Mistvieh in München statt zehn Neger in Afrika

REST DER WELT / WIEN / DIE GESCHICHTE VOM FRÄULEIN POLLINGER

16/05/14 „Oft nützt im Leben der beste Wille nicht“, sagt Eugen zu Agnes – ein herzensguter Mensch zu einer jungen Frau, die sich unter normalen Umständen auch nichts vorwerfen lassen müsste. Aber was sind schon normale Umstände, wenn beide nicht die leiseste Aussicht auf abgesicherte Existenz haben in Zeiten der Depresssion?

Von Reinhard Kriechbaum

Die Geschichte vom Fräulein Pollinger ist eine kurze: Sie währt genau „Sechsunddreißig Stunden“. So der ursprüngliche Titel des Romanerstlings von Ödön von Horváth. Ein halbes Jahrhundert hat es gedauert bis zu seiner Veröffentlichung 1979. Da war der Autor der „Geschichten aus dem Wiener Wald“ schon 31 Jahre lang tot. 1928/29 war er schon ganz bei seinem Thema: beim Morast totaler Aussichtslosigkeit, in dem kurz aufleuchtende individuelle Hoffnungen augenblicklich versumpfen.

Nicht anders ist es mit Agnes und Eugen. Sie arbeitslose Näherin aus der Oberpfalz, er arbeitsloser Kellner aus Wien. Sie laufen sich zufällig über den Weg in München, eine fast schüchterne, respektvolle, feinfühlige Annäherung an Seinesgleichen, ein unerwarteter Abend im Seelen-Gleichklang: „…dass er nichts Ernstes denkt, sondern an sie“, geht ihr durch den Kopf, wenn plötzlich „seine linke Hand auf ihrem linken Knie“ liegt. Was soll sie schon für ein Selbstwertgefühl haben, muss sie sich doch immer wieder einlassen auf Männer, um zu überleben. Das ist meilenweit weg von Prostitution, bloß Überlebensstrategie. Echte Liebe jetzt mit einem Habenichts?

Das Fräulein Pollinger hat gelernt, dass die Welt „nach kaufmännischen Regeln“ tickt. Und so sitzt sie nächsten Tag einem Maler als Akt Modell für zwanzig Groschen die Stunde, und abends geht’s mit einem Herrn mit Auto an den Starnberger See. Als Abendessen „ein Wienerschnitzel mit Gurkensalat“, und danach die unvermeidliche Gegenleistung. Der zurückhaltende Eugen wird versetzt vom „Mistvieh“.

Auf der Probebühne der Josefstadt ist die kurze „Geschichte vom Fräulein Pollinger“ jetzt ein Bühnen-Streiflicht, fast improvisierend belassen als ein Zwitterwesen zwischen Roman und Spiel. Raphaela Möst ist Agnes Pollinger, Matthias Franz Stein übernimmt die Männerrollen. Immer wieder ziehen sich die beiden an einen Lesetisch links oder ein Stehpult rechts zurück. Die Geschichte bleibt über Strecken vorgelesenes „Hörbuch“. Es werden nicht auf Biegen und Brechen Dialoge destilliert. Schön, dass die Folie des literarischen Originals drüber gespannt bleibt. Und fein auch, dass Regisseur Fabian Alder sehr genau hinhört auf die vielen Boshaftigkeiten im Text. „Sechsunddreißig Stunden“ ist nicht nur ein Sozial-Mikrodrama, sondern auch lustvolle Satire auf das, was aus Österreich und Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg geworden ist.

Matthias Franz Stein mit seiner recht heutigen Yuppie-Frisur versteht sich aufs breite Wienerisch, und gelegentlich darf er deftig karikieren. Aus dem Maler ist ein Videokünstler geworden, der sein Modell im Opiumrausch an der WC-Schüssel inszeniert: „Jetzt ist es verstörend.“ Die Romanfiguren landen unaufdringlich im Jetzt, sind deutlich moderner als der Röhren-Radioapparat, das einzige Ausstattungsstück. Die Musik – live-akustisch und -elektronisch – gliedert die Szenen und trägt nicht wenig zur Stimmungsmalerei bei. Und die Musiker müssen schon mal als Träger eines Videoscreens und in einer Szene auch als Text-Vorleser herhalten. Vieles wirkt locker arrangiert und erfreulich wenig bedeutungsschwer.

„Die Geschichte vom Fräulein Pollinger“ ist in dieser Fassung eine Theater-Antwort mit Understatement gerade jetzt, wo länderauf-, länderab des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs gedacht wird. Ödön von Horváth war ein solcher „Kriegsjugendlicher“: „Wir sind in der glücklichen Lage, glauben zu dürfen, illusionslos leben zu dürfen“, schrieb er einmal und wirkt damit wie die Figuren seines ersten Romans. Auch dem eher positiv denkenden Eugen hat ja, so betont er immer wieder, der Krieg einen Strich durch die Karriere-Rechnung gemacht: Nichts da mit Tourismuswirtschaft in Afrika, wo er als Kellner „schon zehn Neger unter sich“ hätte, „wenn diese Schweinerei in Sarajewo nicht passiert wäre“.

Bis 7. Juni auf der Probebühne des Theaters in der Josefstadt – www.josefstadt.org
Bilder: Theater in der Josefstadt / Moritz Schell 

 

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