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Gott ist tot – oder blind und taub

REST DER WELT / GRAZ / DAS SCHEISSLEBEN MEINES VATERS...

02/05/14 Was für ein Panoptikum, wenn sie zum Schlussapplaus gemeinsam auf der Bühne stehen: Superman, der Pappkamerad, der auch eine (kleine) Rolle als Ausstattungsstück gespielt hat – und Andreas Altmann, Autor des Bestsellers in eigener Sache, schlecht rasiert, in Lederkluft, mit der obligaten Schiebermütze.

von Reinhard Kriechbaum

Einer mit dem Anstrich des Outlaws. Die beiden sind dann noch umgeben vom Schauspieler-Quartett, den vier Altmann-Darstellern, die man auf der Probebühne des Grazer Schauspielhauses ins turbulente Uraufführungsrennen geschickt hat für die Dramatisierung von Oliver Kluck.

Der Scheitel sitzt exakt bei diesen vier Altmännern, ebenso die Krawatte um den weißen Hemdkragen. Wie man es eben erwartete in den fünfziger Jahren im kreuzbraven Altötting, in der Familie des Marktführers in Sachen Handelswaren für Frömmigkeit. Der beige Pullover war schon das Maximum an individueller Buntheit, die einem dort (und womöglich nicht nur damals) zugestanden wurde.

Schiebermütze und Lederjacke. So also schaut einer mit 64 aus, der das alles durchgemacht hat. Die Jahre gäbe man ihm gar nicht. Der in juvenilen Jahren am Vater gestählte Kampfgeist schlägt durch. „Nicht der Herrgott erlöst dich, sondern deine Lebenswut“, hat Andreas Altmann einmal in einem Zeit-Interview gesagt, während seine Autobiographie schon im Ersterscheinungsjahr 2011 Neuauflage um Neuauflage erlebte.

Da ist also etwas in diesem erinnerten Scheißleben, in dem sich ganz offenbar viele aus dieser Generation wiederfinden. Wahrscheinlich auch nicht wenige aus nachfolgenden Jahrgängen, weil so mancher die Kindererziehung ja genau so handhabt, wie er sie an sich erfahren hat.

„Aufschlag auf meiner rechten Gesichtshälfte. Dann eine gepflegte Rückhand auf die linke Seite“: Die Spielregeln waren klar im Hause des Franz Xaver Altmann, des SS-Schergen, der jetzt „Rosenkranzkönig“ im bayerischen Altötting ist. Marktl am Inn liegt nahe, wo Papst Benedikt geboren ward. In der frommen Gegend waren ganz unterschiedliche Karrieren möglich.

Mit Andreas Altmanns Roman ist die auf political correctness bedachte Literaturkritik mehrheitlich sanft und respektvoll umgegangen. Wer verreißt schon freiwillig ein Buch, in dem's der katholischen Kirche heimgezahlt wird? Man will sich ja nicht Beifall aus der falschen Ecke holen. Gott ist mausetot, jedenfalls blind und schwerhörig. Sonst hätte er es ja ehzeitig donnern lassen und Blitze auf den alten Altmann geschickt, der den jüngsten Knaben und seine Geschwister zum innerfamiliären „Arbeitsdienst“ eingeteilt und mit täglichen Schlägen entlohnt hatte. So hätte das sein müssen, unbedingt.

Oliver Kluck will in seiner Dramatisierung das „Musterhafte einer Kindheit in der deutschen Nachkriegskindheit“ herausbringen. Ja eh, der Nazi steckte im Vater und wurde übertüncht. Im Fall des Franz Xaver Altmann eben durch das „Devotionalien-Business: So kann die Hölle aussehen“.

In der Version von Kluck und der Uraufführungs-Regisseurin Christina Rast ist es eine rasend turbulente Hölle. Man hat den Ehrgeiz, so viel Romantext wie nur möglich in den hundert Minuten unterzubringen. Eine Wort- und Phrasenkanonade aus heiß laufenden Mündern. Zu viert sitzen sie an einem langen, schmalen Tisch, verwandeln sie sich gar in eine Combo (die Instrumente stehen am Bühnenrand bereit). Die Letztklasse-Beatles bringen es immerhin bis ins benachbarte Neuötting. Blitzschnell schlüpfen die vier in andere Rollen, in jene des rabiaten Vaters natürlich, den die Nazi-Geschichte „nicht zum Säufer gemacht hat, sondern zum Schwein“. Oder in jene der Mutter, wofür ausreichend weiße Kleider zur Verfügung stehen. In angedeuteten Arkaden stehen Kerzen, Kreuze und Marienfiguren. Das bigotte Ambiente ist klar.

Das irrwitzige Spieltempo schadet gewiss nicht, die Sprache des routinierten Situationsschilderers, des geeichten Wortartisten und Formulierungs-Drechslers Andreas Altmann gewinnt so noch an Brillanz und es stellen sich viele Pointen ein. Erstaunlicherweise kann man auch viel Lachen an diesem Abend, auch wenn's gelegentlich im Hals steckenbleibt. Ein Vorzug dieser Scheisslebens-Rückschau ist ja, dass ihr Larmoyanz völlig fehlt. Der (Selbst)Ironie helfen Oliver Kluck und Christina Rast sehr gezielt nach. In ruhigen Momenten wissen sie aber sehr wohl aufs Ungeheuerliche zu fokussieren. „Er war die SS-Maschine, der seine Söhne mit Russenschweinen oder Polackenschweinen oder Judenschweinen verwechselte.“ Die Hosengürtel sitzen locker und knallen.

Thomas Frank, Sebastian Klein, Florian Köhler und Franz Solar bleiben auch in identischer Kleidung eigene Persönlichkeiten, Leute mit Schrullen und Macken. Der Text ist raffiniert typengerecht aufgeteilt.

Was schon herauskommt: Des Autors Lust am Beschreiben – schlimm genug, wie es war! – übersteigt die analytische Tiefenschärfe. Die Psychologie des Andreas Altmann ist im Gegensatz zu den Konfektions-Pullovern der Darsteller deutlich selbstgestrickt.

Aufführungen bis 5. Juni – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lupi Spuma

 

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