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Die Feinmechanik hinter der Grob-Klotz-Story

REST DER WELT / WIEN / STAVANGERA (PULP PEOPLE)

27/05/17 „Die Geschichte könnte noch lange weitergehen“, verrät die wandernde rote Schrift, „aber es hat absolut keinen Sinn“. Zum letzten Mal hat Konstantin Bogomolov die Lacher auf seiner Seite. Mit Entsetzen treibt er nicht wenig Scherz in „Stavangera (Pulp People) bei den Wiener Festwochen.

Von Reinhard Kriechbaum

Der russische Regie-Wunderknabe der mittleren Generation (Jahrgang 1975) hat die Geschichte mit dem lettischen Liepājas Teātris umgesetzt. Das Wien-Gastspiel am vergangenen Wochenende (23.-25.5.) war die erste Aufführung im deutschsprachigen Raum.

„Pulp“ – zermalmen, einstampfen, zu Brei machen heißt das Verb. Das beschreibt schon einigermaßen den Umgang dieser Leute untereinander. Und „pulp fiction“ meint Schundliteratur, einen Groschenroman auch. „Pulp People“ steht, sitzt und hockt da also zusammengepfercht in einem breiten schmalen Raum, mit simultaner Küchen-, Ess- und Wohnzimmereinrichtung und WC-Schüssel auch gleich dazu. Eine Glaswand zum Publikum schließt das theatrale Gehege ab. Wäre es ein Gitter, täte man an eine Tierschau denken, wo die absonderlichsten Geschöpfe zusammengepfercht sind. Alle Dialoge und Handlungen laufen dort querfeldein und nebeneinander her. Da spielt sich’s ab.

Kika/Kristine ist noch eine der Normaleren: Sie sucht ihr Heil im Chat mit dem Norweger Odd. Das entwickelt sich sexuell anregend, weswegen sie sich real aufmacht nach Stawanger (der Ort und Odds Bettstatt liegen natürlich dann auch im Bühnen-Container). Odd hält statt des eigenen Penis eine Bohrmaschine im Daueranschlag. Ein Besessener, und auch sonst ist er nicht der Traummann: ein Fixer, der gelegentlich immer noch mit seiner Exfrau schläft, außerdem Vater eines Sechzehnjährigen mit Downsyndrom. Die Ex hat mal irrtümlich aus dem eigenen Kokain Brei für den Jungen gemacht und „selbst mit Gries gekokst“. So was kann passieren, hat die Stimmung des Jungen gehoben, doch die Sache geht jetzt ins Geld.

Russische Nutten sind offenbar Alltag in Stavanger, auch wenn sie Lettinnen sind – ein running gag an dem Abend. Nikolai, Kristines Mann, hält es mit der Treue auch nicht so genau. Er, der Taxifahrer, hält sich an eine Stewardess. Bei einem Besuch bei ihr daheim kommt es vor einem Foto zu einem netten Dialog: „Wer ist das? – Mein Mann. Aber keine Sorge, er ist tot. – Woran ist er gestorben? – Keine Ahnung, aber ich kann fragen, wenn Sie wollen. – (Gedankenpause) – Der Tee ist gut. – Das ist kein Tee, das ist seine Asche.“

So geht das dahin. Eine Randfigur ist Kristinas Schwiegervater, der nach dem Schlaganfall gepflegt werden muss. Und die Stieftochter hat nach einem Unfall den Kopf einer Sechzigjährigen (der Großmutter) angenäht bekommen. Sie darf sich jetzt aus psychohygienischen Gründen nicht in den Spiegel schauen, „aber ein alter Kopf macht klüger“. Die transplantationstechnisch bedingte Altersweisheit der Studentin ist auch für so manchen Gag gut.

Konstantin Bogomolov nimmt die Kohlenschaufel und nicht das Zuckerlöfferl, wenn er Schwarzen Humor einstreut. Aber so muss das wohl sein bei pulp fiction und schon gar bei diesem „Pulp People“. Den lettischen Text gibt es per Kopfhörer in Simultanübersetzung. Weil die Leute ja oft wüst durcheinander quasseln, die Handlungsfäden verfilzt und die Orts-Sprünge tollkühn sind, ist es anfangs nicht ganz leicht, Überblick zu behalten. Aber die Sache entwickelt starken Sog und man kommt hinein in die Feinmechanik hinter der Grob-Klotz-Story. Diese ist viel gediegener und psychologisch ausgefeilter, als man anfangs denken würde.

Immer wieder halten Figuren in dem rabenschwarzen Narrentreiben ein und beginnen zu räsonieren. Berührend der Schlaganfall-Opa. „Sie hüten meinen Tod wie ein Kerzenflämmchen“, sagt er und kommt ins Nachdenken darüber, wer eigentlich hilfloser ist, Patient oder familiäre Dauerpfleger. Wer tanzt in Wirklichkeit nach wessen Pfeife?

Nicht minder tief geht ein Dialog zwischen Kristina und einer Schulfreundin, die sich auch waagrecht in Stawanger durchbringt. Zwei rote Gasballone trägt sie vor sich her, Synonym für Brustvergrößerung. Daraus entwickelt sich wie nebenbei eine messerscharfe Analyse des Körper- und Menschenbildes heutzutage.

Aber all das ist eben eingebunden in eine Skurrilitätenschau, in ein Panik-Theater, über dem die Humor-Keule beständig schwingt (und mit der auch kräftig zugeschlagen wird). Selten so gelacht über solche Dinge. Echt krass.

www.festwochen.at
Bilder: Wiener Festwochen / Ziedonis Safronovs

 

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