Mietvertrag mit Folgen
NEU IM KINO / FAMILIE ZU VERMIETEN
15/04/16 Der schwerreiche Neurotiker will experimentell herausfinden, ob „Familie“ als Lebenskonzept nicht doch eine Option (gewesen) wäre. Er „mietet“ sich in eine fröhlich chaotische Alleinerzieherinnen-Familie am unteren Ende der sozialen Skala ein. Regisseur Jean-Pierre Améris war der Laborleiter im Experiment „Familie zu vermieten“.
Von Heidemarie Klabacher
Der französische Originaltitel „Une famille à louer“ ist beinah gleich irreführend, wie der deutsche Titel „Familie zu vermieten“. Violette will sich und die ihren keineswegs ver-mieten. Vielmehr will Paul-André sich in den kleinen Familienverband ein-mieten. Er wolle auch nicht eine „Frau ausprobieren“, sondern „eine Familie“, antwortet der Millionär pikiert auf die Frage der Überlebenskünstlerin nach ihren – ähm – nächtlichen Verpflichtungen im Falle einer Übereinkunft. Ein Vertrag wird aufgesetzt: Paul-André begleicht Violettes Schulden und zahlt ihr ein Jahresgehalt, dafür wird er für drei Monate als Familienmitglied aufgenommen.
Schon am ersten Abend ruft der an den Folgen eines Nervenzusammenbruchs oder eines Burnout laborierende Exzentriker verzweifelt seinen Butler an: „Holen Sie mich hier raus!“ Er – also Leon, der Butler – könne sich nicht vorstellen, wie es hier zugehe, wie die Leute hier lebten…
Ja, die Leute leben in einem heruntergekommenen Häuschen irgendwo im imaginären Grünen am Rande irgendeiner Großstadt (eine solche muss in der Nähe sein, der Supermarkt etwa ist von beängstigender Größe und erschreckender Warenvielfalt). Paul-André dagegen lebt in einer modernen Luxusvilla im menschenleeren Nirgendwo. Die Unbestimmheit der Orte und die plakative Gegensätzlichkeit dieser Lebensräume erwecken den Eindruck einer Versuchsanordnung auf dem Reißbrett.Und das tut dem Ganzen sehr gut. Die ebenfalls plakative soziale Grundsituation – armer Reicher/fröhliche Arme – wird mit Hilfe der Überzeichnungen wohltuend gebrochen.
Das gilt auch für das Figurenkonzept. Da blitzt für Augenblicke sogar gelegentlich Ironie auf. Die Protagonisten, ob in Villa oder Bruchbude, sind nicht nur zum Mögen, respektive zum Knuddeln. Benoît Poelvoorde als Paul-Andre und Virginie Efira als Violette überraschen immer wieder mit neu auf- oder durch-scheinenden Facetten vielschichtiger Charaktere.
So findet Paul-Andre etwa sofort einen direkten Draht zu Violettes Sohn, erzählt ihm im richtigen Augenblick die richtige Einschlaf-Gruselgeschichte, verliert beim Mathe-Hausübung machen dennoch die Nerven. Virginie Efiras Violette findet auf eine sympathisch unsicher bleibende Art und Weise durch die neuen sozialen Erfahrungen zu einem neuem Selbstbewusstsein…
Dabei scheinen Benoît Poelvoorde und Virginie Efira immer wieder augenzwinkernd zu vermitteln, dass ihnen klar ist, dass sie weniger „Menschen“ als „Typen“ verkörpern. Die „Versuchsanordnung“ bleibt auch in den emotionalen Krisen spürbar – und genau darum verträgt der 96minütige Streifen auch ein gewisses Übermaß an Sozial-Romantik in der Handlung wie in den sommermild ausgeleuchteten Bildern.