Schopenhauer auf der Bettkante hilft auch nicht weiter
NEU IM KINO / BEZIEHUNGSWEISE NEW YORK
05/05/14 Vielleicht kommen da doch etwas zu viele Menschen zusammen in einer kleinen, nicht gerade luxuriösen Wohnung in China Town. Nicht Chinesen, sondern Leute aus Good Old Europe – alle so um die Fünfunddreißig. Solche, denen die Welt gehört – oder wenigstens gehören sollte.
Von Reinhard Kriechbaum
Seit gut fünfzehn Jahren verfolgt der franösische Beziehungskomödien-Spezialist Cédric Klapisch ein buntes Grüppchen von Menschen: In einer WG von Erasmus-Studenten in Barcelona hat das begonnen, dann haben sich ihre Wege irgendwie in St. Petersburg gekreuzt. Geographische und amoureuse Wirren, was sonst. Nun läuft man sich abermals über den Weg, in New York. Und im Lauf dieses dritten, ziemlich turbulenten Films kommt es also zum Showdown in besagter Wohnung von Xavier, der es nicht und nicht schafft, sein Leben auf die Reihe zu kriegen, weder örtlich, noch familiär, und als Romanautor schon gar nicht. Da tauchen also unerwartet und punktgenau fast zur gleichen Minute auf: Xaviers Ex-Frau (Engländerin), die sich mit den beiden Kindern einer neuen Beziehung wegen nach New York abgesetzt hat. Xaviers US-chinesische Gattin, die er der Aufenthaltsgenehmigung in den USA wegen pro forma geheiratete hat. Dann wäre da noch die gute alte Freundin Isabelle, eine Lesbe mit drängendem Kinderwunsch – dem Xavier prompt nachgekommen ist (in klinischer Situation wohlgemerkt, aber immerhin). Isabelle nutzt Xaviers Wohnung fatalerweise für einen gleichgeschlechtlichen amourösen Seitensprung. Die Lebensgefährtin taucht natürlich ebenso auf, wie Martine, auch eine Langzeit-Freundin, die in Paris alleinerziehend lebt und sich – wer weiß? - im Leben neu orientiert, an Xavier nämlich. Es täten sich eh alle gut vertragen, aber just da kreuzt auch noch der Beamte von der Einwanderungsbehörde auf und möchte die Familienbande Xaviers prüfen. Gesteigerter Erklärungsbedarf.
Hoffnungslos überdreht und konstruiert, das alles? Nein, gar nicht. Cédric Klappisch hat ein Faible für diese Einzelgänger mit Familienbildungs-Drang, er beschreibt uns das lebenslustige Völkchen mit Liebe und Sympathie. Sie alle sind rechte Kosmopoliten, weltoffen, vorurteilsfrei. Sie sind es gewohnt, ihre Gefühle auszuleben und sie tun das mit Mut und Energie, mit der Bereitschaft, sich auf Neues einzustellen und das Allerbeste draus zu machen. Das Wort „authentisch“ täte auf sie alle passen – aber wollen sie, tief in der Seele, wirklich so authentisch sein, wie sie sich geben? Wie steht es mit den – pfui! – „bürgerlichen“ Sehnsüchten? Steckt in jedem dieser Städte- und Länder-Hopper ein kleiner Spießer, der sein trautes Glück zu zweit und dann mit den Kindern einfach ausleben will? All die Geo- und Amouren-Swinger täten sich wohl allmählich gerne einbremsen.
Davon handelt also auch der dritte Film der Serie „L'Auberge Espagnole“ (nach der Ur-WG dort): „Beziehungsweise New York“. Regisseur Cédric Klappisch erzählt mit Tempo und ist gar nicht kleinlich in der Wahl der Mittel: Da kann eine Episode schon als rasante Animation daher kommen. Und wenn Xavier tiefsinnig wird und über den Sinn seines und des Lebens überhaupt nachdenkt, klopft es an der Tür: Da machen Schopenhauer und einige Szenen später Hegel ihre Aufwartung, hocken sich auf die Bettkante und üben sich im Klugscheißen. Die Rettung für die 35 Plus-Generation wird von den beiden wohl auch nicht kommen.
Romain Duris, ein in Frankreich immens populärer Schauspieler, ist Xavier. Es gibt auch ein Wiedersehen mit Audrey Tautou („Die fabelhafte Welt der Amelie“). Schauspielerisch ist das bunte Völkchen erste Sahne.
Und taugt das alles zum Roman, mit dem Xavier beharrlich nicht weiterkommt? Der Verleger äußert via Skype seine Zweifel. Eigentlich brauchte Xavier ja nur seineErlebnisse seit dem ersten Einzug in eine WG niederschreiben. Wie man sieht: für einen pfiffigen Film ist's allerfeinster Stoff.