Mit Güte bestrafen
NEU IM KINO / PHILOMENA
28/02/14 Regisseur Stephen Frears, bekannt etwa für High Fidelity oder The Queen, entwirft eine melodramatische Geschichte - mehr Zuckerbrot als Peitsche - und verpackt die grausame Realität in eine rührselige Hülle, ausgeschmückt mit komödiantischen Details: Philomena.
Von Oliwia Blender
Filmische Fiktion untertitelt mit dem Verweis „nach einer wahren Begebenheit“, basierend auf dem Buch „The Lost Child of Philomena Lee“ von Martin Sixsmith, erzählt von fünfzig Jahren Schweigen und Scham und von der Suche nach dem verlorenen Sohn. Sie lockt das Publikum mit charmanter britischer Starbesetzung in die Kinositze und scharrt schon im Wettbewerb um den Oscar am Sonntag (2.3.) gleich in vier Kategorien in den Startlöchern.
Rückblenden zeigen Klosterszenen aus den Fünfzigerjahren. Die junge Heldin Philomena Lee (gespielt von Sophie Kennedy Clark) lebt dort unter unmenschlichen Bedingungen – unter dem Deckmantel des christlichen Glaubens und zwecks Reinigung durch Buße. Von ihrem Vater als Schwangere ins irische Kloster Roscrea abgeschoben, muss sie leiden für ihre „Fleischeslust“: eine Steißgeburt ohne Schmerzmittel überleben und vier Jahre Zwangsarbeit leisten. Ihr Sohn Anthony wird als Dreijähriger zur Zwangsadoption gegeben- eine wegfahrende Limousine fungiert als letzte Erinnerung an diesen.
Fünfzig Jahre später entschließt sich die Heldin (Judi Dench) zum Reden und zum Suchen. Ein Zufall führt zum nächsten und der Journalist Martin Sixsmith (Steve Coogan – Drehbuch-Adapteur und Co-Produzent) begibt sich mit Philomena auf die Suche.
Die Ereignisse zwingen die Beiden während des Roadtrips zum gemeinschaftlichen Handeln, zum gegenseitigen Austausch von Weltanschauung und Religion und schlussendlich zur Freundschaft. Hinsichtlich der Unterschiede von Herkunft, Temperament und Status bietet dies genügend Spielraum für komödiantische Elemente. Während die fromme Philomena mit ihren glänzend blauen Augen am liebsten in Selbstbedienungsrestaurants speist, Groschenromane rezitiert und die Nächstenliebe und Freundlichkeit über Alles stellt, überrascht der ehemalige BBC Journalist und Oxford Absolvent nicht in seinen Charakteristika: zynisch, arrogant und atheistisch, blockt er anfangs ab, eine „Human Interest“-Story anzunehmen, wittert dann aber doch die große Chance, aus dem Nonnen-Skandal Profit zu schlagen.
Eine kleine Kritik von Seitens des Regisseurs an der (britischen) Boulevardpresse fließt hier mit ein. So unterliegt Martin Sixsmith in seinem Handeln den Forderungen und dem Druck des Vertrags mit seiner Chefredakteurin. Es werden keine finanziellen Mittel und Mühen gescheut, sowie moralische Werte ausgeblendet, um Philomenas Lebensgeschichte und Emotionen in den Massenmedien zu verkaufen. Der Mutter selbst, man könnte es schon als naiv bezeichnen, geht es nur um den Seelenfrieden.
Ohne den weiteren Verlauf der Geschichte zu „spoilern“, darf hinzugefügt werden, dass die Reise bis nach Washington D.C. zu den juristischen Kreisen des Weißen Hauses führt. Leider wird hier der konventionelle Umgang der Republikaner mit Homosexualität und Aids nur angeschnitten. Ebenso fehlt das Trauma der Mutter und es fehlt die Anklage gegen das Verbrechen von unzähligen Kinderverkäufen an wohlhabende Amerikaner.
Die Kritik kratzt nur ein wenig an der Oberfläche. Dafür dominiert sentimentale Musik. Ein sehr christliches Ende wird angestrebt, in dem gütige Vergebung in Großaufnahme porträtiert wird, mit glänzend blauen Augen.