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Kanonenfeuer auf die Spatzen der Einbildungskraft

REST DER WELT / GRAZ / FREQUENZEN

15/03/16 Ein Synästhet, der die Woche mit Dienstag beginnen lässt, weil's der Montag einfach nicht verdient: So einer ist Alexander Kerfuchs, Hauptperson in dem Roman „Die Frequenzen“ von Clemens J. Setz. Aber was heißt es bei diesem Autor schon, Hauptfigur zu sein?

Reinhard Kriechbaum

Es tummeln sich derer viele in Setz' umfänglichen Texten. Eines derer Charakteristika ist ja, dass die Leute alle intensiv denken und empfinden, oft quer und verschroben, in Vergangenheit und (Vor)Zukunft, handfest handelnd oder vage irrlichternd. Es geht unrund rund in Setz' dicken Büchern.

Das Feuilleton stimmte regelmäßig Elogen an auf jedes seiner neuen Werke, von „Söhne und Planeten“ (2007) bis „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ (1015). „Auf ein großes, abendfüllendes Theaterstück wartet die Welt noch“, hieß es im Programmheft jetzt im Grazer Schauspielhaus. Dem hat man abgeholfen und von den 2009 veröffentlichten, vom Residenzverlag schon in dritter Auflage nachgedruckten „Frequenzen“ den Artikel im Titel und Hunderte von Textseiten weggestrichen. Immer noch bleibt ein mit 2 Stunden vierzig Netto-Spieldauer wahrhaft abendfüllendes Ding.

Platz für alle sechs Darsteller und ihr querständiges Gedanken-Reisegepäck ist notfalls im kleinsten Fiat. Der ist gelb und hat keine Scheiben, was die Enge mindert. Es bleibt auch viel Auslauf auf der Drehbühne von Daniel Wollenzin. Eine Hausfassade mit Balkon, ein Badezimmer in einem Glaskubus, einen Tisch in Höhe des ersten Stockwerks, ein herein geschobenes Sofa und ein paar andere Dinge sind da. Reichlich Bühnennebel wird produziert. Und es gibt viel Projektionsfläche. Zwei Damen mit Kamera und Tonangel sind nämlich fast immer hinter den Protagonisten her. So sieht man im Großaufnahme, in nicht selten sich überschneidenden Projektionen, was in ihren Gesichtern vorgeht und kann die krausen Innenkopflandschaften erahnen.

Tief einatmen, und durch! Regisseur Alexander Eisenach erzählt die Geschichte von dem quirlig-hektischen Alexander (Clemens Maria Riegler), der mit seiner Freundin Lydia dauer-hadert und was anfängt mit der Psychologin Valery. Er kiefelt auch an der übermächtigen Vaterfigur ((Franz Xaver Zach). An einer solchen leidet auch der Jugendfreund Walter (Jan Brunhoeber), der von seinem alten Herrn fremdbestimmt wird als Vielleicht-Schauspieler oder Möglicherweise-Psychopath. Psychologin Valery kapituliert berufsmäßig und setzt auf ihn als schauspielernden Agitator im Patientenkreis, was einige Verwirrung stiftet.

Aber wir wollen uns hier nicht verlieren in einer Handlung, die ohnedies Nebensache ist. Es geht vor allem um die Monologe, um die gedanklichen Querschläger der Figuren. Er habe „beschlossen, dass kein Ausgang aus der Wirklichkeit“ infrage komme, versichert einer, und der andere spintisiert darüber, ob ein Riss in der Wand ohne eine solche existieren könne oder ob das schlicht den Ruin der kleinen Familie markiere. Kurz: Mit der „seelischen Gleichgewichtssteuerung“ ist es bei all diesen Leuten nicht so weit her: Auch nicht bei Valerie und Lydia (Evamaria Salcher, Vera Bommer), die den Männern auf ihren holprigen Ego-Trips die Stirn bieten. Die Männer kommen jedenfalls aus der „Welt der offenen Plätze“ heim zu ihren Frauen und tun so „als ob – die Wörter, mit denen wir unser Leben durchs Schlüsselloch betrachten“.

Dieser voyeuristische Blick ist nicht unanstrengend, weil er durch die Dramatisierung zusätzlich eingeschränkt ist und alle – wie es Walter mal formuliert - „mit Kanonen auf die Spatzen ihrer Einbildungskraft schießen“. Spatzen sind eben keine Schwergewichte, genau das wird zum Problem der Theatermenschen, die Hand anlegen an den Text von Clemens J. Setz. Der ist, bei allen gedanklichen Hakenschlägen, doch stringent. Kürzung macht den einen oder anderen Handlungsstrang klar, nimmt aber die Möglichkeit zu großen Gedankenausflügen, zu denen Setz' Roman beständig einlüde. Das kann kein Bühnennebel, kein Lichteffekt, keine Projektions-Finesse wieder gutmachen.

Am ehesten noch das Kind in der Rolle des jungen Alexander Kerfuchs. In der Premiere war das Johanna Marauschek. Die Dreizehnjährige steuert bewundernswert natürlich durch gar nicht wenig sperrigen Text, „unbersehbar mitten in der Wirklichkeit“. Aber fatal: Genau diese Wirklichkeit (ohne die eine Bühnenumsetzung nicht auskommt) ist es, die den Autor am wenigsten kratzt. Ihm geht es ums Hinausgrasen aus den saftigen Denkwiesen. Ein starkes Plädoyer fürs Lesen.

Aufführungen bis 20.April – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lupi Spuma

 

 

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