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Das Ungeziefer im knall-orangen Frack

WIEN / AKADEMIETHEATER / DIE VERWANDLUNG

24/01/24 Wir werden uns in diesem Jahr wohl vermehrt auf Kafkaeskes einstellen müssen. Franz Kafka ist vor hundert Jahren gestorben (am 3. Juni ist der Gedenktag). Im Wiener Akademietheater stellt Lucia Bihler Die Verwandlung auf die Bühne. In einem expressionistischem Setting, für das unmittelbar der Maler Ernst Ludwig Kirchner Pate gestanden ist.

Von Reinhard Kriechbaum

Der hoffnungslos verschnittene grell-orange Frack wäre ein Grund, augenblicklich den Schneider zu wechseln. In ihm steckt Gregor Samsa (Paulina Alpen). Hier erwacht er nicht als furchteinflößendes „Ungeziefer“, sondern als ein Mensch, für den Sein und Schein, das Ich und die äußere Hülle, absolut nicht mehr zusammen gehen. Der Kopf scheint im Kragen versunken zu sein, wie eine Schildkröte scheint Gregor ihn einziehen zu können. Seine Bewegungen sind grobschlächtig bis tollpatschig. Der Gesichtsausdruck wirkt ungläubig bis trotzig, scheu bis subversiv. Gregor Samsa muss nicht zum Insekt geworden sein, um seiner Umgebung Furcht einzuflößen.

Aber die Familie Samsa ist auch nicht ohne. Auch diesen Leuten eignet Monströses, vor allem wenn sie überdimensionale Masken überstülpen. Vater Samsa (Philipp Hauß) trägt einen gestreiften Pyjama, die Mutter (Dorothee Hartinger) wirkt wie erstarrt in ihrem aufdringlich gelb leuchtenden, bodenlangen Kleid. Das abstehende Blumenkleid von Schwester Grete (Stefanie Dvorak) ist hinaufgerutscht fast auf Brusthöhe, stößt an die übertrieben aufgebauschten pinken Puffärmel. Das sind also allesamt bürgerliche Fratzen, nicht minder bedrohlich als der eines Morgens der Verwandlung anheim gefallene Gregor.

Die Darsteller streifen die Kostüme auch blitzschnell ab, sind dann als schwarz gekleidete Erzähler im Bühnenvordergrund tätig. In Kafkas Text sind die Gedanken des zum Insekt verwandelten Gregor oft in direkter Rede festgehalten. Hier spricht er nicht, kann oder darf sich nicht mitteilen.

Nicht zufällig ist im Programmheft als erstes ein Gespräch mit der Bühnenbildnerin Pia Maria Mackert und der für die originellen Kostüme verantwortlichen Victoria Behr abgedruckt. Die beiden haben ganze Arbeit an Illusion geleistet. Gregors Zimmer: grüne Wände und oranger Plafond, ein metallenes Bettgestell, karge Möblierung. Es gibt Gregor Samsa auch als Puppe, da wirkt er verloren im plötzlich viel zu groß anmutenden Raum. Das Zimmer existiert aber auch in deutlich kleinerem Format, worin die Schauspielerin entsprechend plump und überdimensioniert wirkt. Ein transparenter Vorhang geht manchmal herunter, doch das Duchscheinende erweist sich als optischer Trick, als Projektion. Dahinter wird blitzschnell umgebaut. Neue Täuschungen, Verzerrungen. Einmal schauen wir scheinbar von oben auf Gregors Bett, auf der Bettkante sitzt seine Schwester.

Lucia Bihlers Erzählung hinter dieser zaubrischen Verwandlung: So sehr sich diese cartoonhafte Dramatisierung an der farbkräftigen Malerei des Expressionismus, vor allem an Ernst Ludwig Kirchner orientiert, zeigt die Regisseurin subtil die Entfremdung innerhalb der Familie und zugleich die Sehnsucht nach Annäherung. Immer wieder tasten Hände zueinander, zucken sie im Moment der Berührung wieder weg. Da geht nichts mehr. Zu lange war Gregor „im Dienst“ seiner Familie, hat er sich unbedankt für deren wirtschaftliches Überleben abgerackert. In dieser Zeit hat er sich seiner selbst und von den Seinen entfremdet. Und er ist der Familie fremd geworden. Das ist das Monströse an der Situation.

Einmal ist ein kurzer Text von Bruno Latour eingefügt (aus Wo bin ich? Lektionen aus dem Lockdown, 2021). Da wird darüber sinniert, ob nicht eigentlich Gregors Familie zu Unmenschen geworden sind, „indem sie sich geweigert haben, ihrerseits zu Insekten zu werden“. „Haben Klimawandel und Pandemie nicht sie, die sich nicht verwandelt haben, in 'Ungeheuer' transformiert?“

Ein Gemälde Kirchners hat man zur Familie Samsa verfremdet, und über dieses Bild streichelt Gregor oft sehnsuchtsvoll. Leise flehen meine Lieder aus Schuberts Schwanengesang ist ein musikalisches Leitmotiv, das in der psychedelischen Musik von Jacob Suske immer wieder anklingt, direkt oder verfremdet. Passt gut zu Kafka, der immer abgründige Schubert...

A propos Kafka: Der steht selbst auf der Bühne. Jonas Hackmann ist dieser Spielemacher, dem am Ende das Spiel entgleitet. Der in einer Horrorszene gleich von vier Vätern malträtierte Gregor wird schließlich unter einem überdimensionierten Apfel zu Tode kommen und doch wieder lebendig werden. Er lässt seinen Kafka auf der Bühne zurück, der Gaze-Vorhang fällt noch einmal, Gregor steht davor und hebt noch einmal an: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte...“ Es ist wohl eine unendliche, eine immer wieder von Neuem sich wiederholende und unlösbare Geschichte.

Die nächsten Aufführungen im Akademietheater: 27.1.; 3., 10., 28.2. – www.burgtheater.at
Bilder: Burgtheater / Marcella Ruiz Cruz

 

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