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Klassische Verwandlungen aus tschechischer Sicht

LINZ / BRUCKNERFEST

18/09/23 Seit 1979 zählt die Klassische Klangwolke als unentbehrlicher Bestandteil zum Brucknerfest. Heuer in doppeltem Sinn „klassisch“, widmete sich doch die Akademie für Alte Musik Berlin Samstag mit Vaclav Pichl, Carl Ditters von Dittersdorf und Georg Benda ausnahmslos Zeitgenossen der Wiener Klassik.

Von Horst Reischenböck

Entsprechend dem diesem Jahr übergeordnet großen Ganzen richtete sich dabei das Augenmerk ganz auf antike griechische Weiblichkeit, wenn diesmal auch aus männlichem Sicht – aber so war es ja meistens in der langen Kulturgeschichte.

Anstelle des jungen Mozart empfahl Maria Theresia ihrem Sohn Erzherzog Ferdinand Karl, den Tschechen Vaclav/Wenzel Pichl in Mailand als Kapellmeister anzustellen. Dieser Wenzel Pichl wollte den neun griechischen Musen ebenso viele Sinfonien widmen, ohne illustrativen oder deskriptiven Anstrich, zumindest aus heutigem Blickwinkel heraus. Nicht alle sind erhalten.

Dank der Bibliotheca Estense in Modena überdauerte eine nach Melpomene, einer der beiden Göttinnen des Theaters, benannte Sinfonie. In ihren vier Sätzen beschwört Pichl, geringfügige Moll-Einsprengsel ausgenommen, nicht die Tragödie. Er dachte vielleicht eher, Melpomene wende als „die Singende“ auch Leid von uns ab: Uns kann er’s nicht mehr bestätigen. Auf jeden Fall bot dieses Stück einen kurzweiligen, zündenden Einstieg zum Aufwärmen. Nur das Cembalo blieb vom hinteren Bereich des Parketts aus beurteilt Staffage. Ein Hammerklavier wäre dynamisch dienlicher gewesen.

Wenzel Pichl und Carl Ditters von Dittersorf waren befreundet. So holte Dittersdorf, der bei Bischof Patachich in Großwardein, heute Oradea in Rumänien, als Kapellmeister in die Fußstapfen unseres „Salzburger“ Michael Haydn getreten war, Pichl als Geiger ins Orchester. Dittersdorf war von Ovids Metamophosen dermaßen begeistert, dass er nach neuestem Wissensstand nicht bloß 12, sondern sogar fünfzehn Sinfonien zu diesen Themen schaffen wollte. Sechs sind erhalten. Zwei Wochen nach Mozarts Figaro-Premiere zeitigte deren Aufführung in Wien einen Riesenerfolg. Weitere drei überdauerten dank Dittersdorfs eigener Bearbeitung für Klavier zu vier Händen. Die restlichen dieser Sinfonien werden noch gesucht...

Diese Musik wirkt kreativer als jene von Pichl. Das bewies beispielsweise jenes Stück, das die Rettung der Andromeda durch Perseus zum Thema hat (die übrigens auch in Hellbrunns Wasserspielen zu sehen ist). Formal folgt diese Sinfonie dem Typ einer sinfonia da chiesa: Ein berührend kantables Adagio bot Oboistin Xenia Löffler eingangs Gelegenheit, sich über Andromeda zu verströmen. Eitel genug, wähnte diese sich schöner als Poseidons Töchter. Deswegen in einem stürmisch von den Streichern unter Leitung von Konzertmeister Bernhard Forck angezettelt bewegten Presto an einen Felsen geschmiedet, soll ein Ungeheuer sie fressen. Ihren con-sordino-Jammer im Larghetto beendete dann Held Perseus zügig mit Hilfe des Haupts der Medusa im finalen Vivace. Beglückend klingt die Sache in einem höfisch-festlichen Menuett auszuklingen.

Das Hauptwerk des Abends wird stets aus dem Brucknerhaus über beide Donauufer hinweg ins Freie ausgestrahlt und durch Lichteffekte visualisiert. Diesmal ging's um Jiři (Georg) Antonin Benda und die Gestalt der Medea.

Medea und ihr Gatte Jason inspirierten im Lauf der Jahrhunderte Opernkomponisten sonder Zahl, von Pietro Cavalli („Giasone“) über Lully, Marc-Antoine Charpentier, Händel, Bellini bis Aribert Reimann. Und wer dächte nicht an Pasolonis Film mit der grandiosen Maria Callas?

Jiři (Georg) Antonin Benda, ein weiterer böhmischer Komponist, und Dichter Friedrich Wilhelm Gotter schufen mit ihrer Medea 1775 wohl aus bühnentechnischen Gründen ein kleiner dimensioniertes, doch wirkungsvolles Melodram. Mozart hörte es in Mannheim. Für ihn ein starker Eindruck, der sich in seinem Zaide-Fragment niederschlug. Neun Jahre später überarbeitete Benda für das Ekhof-Theater in Gotha sein gleichsam Musterstück „mit verbeßerter Musik“ und merkte an: „Ich wollte, ich hätte sie unter dieser Gestalt gleich bey ihrer Geburt auf das Theater gebracht“. Die gelangte nun auch in Linz zur Erstaufführung.

Ein nach einstimmenden Worten aus Christa Wolfs Medea-Roman erschütterndes, zu Herzen gehend packendes Psychogramm einer im Innern zutiefst verletzten Frau, deren Auflehnung von Hass, Rache, über Mutterliebe, ausweglose Verzweiflung bis zum Kindsmord führt. Bendas Musik tut nach wie vor ihre Wirkung, Meike Droste übermittelte die Affekte ausdrucksstark in allen Stimm-Facetten. Stichwortbringer waren ein Duo aus St. Florianer Sängerknaben als Medeas Söhne, Cecilia Pérez vom Linzer Landestheater als Hofmeisterin und, kurz vor Ende, der verständnislos dem gegenüberstehende Jason von Lukas Weiss.

Alle wurden getragen von den perfekt intonierten Originalinstrumenten der Akademie für Alte Musik. Sie setzte Bendas hoch dramatische musikalische Einwürfe, auch aus dem Off heraus, in jeder Phase voll ambitioniert um. Eine denkwürdige Neubegegnung mit diesem Werk.

Das Linzer Brucknerfest dauert bis 11. Oktober – www.brucknerhaus.at  

 

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