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Wie sich das Volk korrumpieren lässt

WIEN / DANTONS TOD, DER BESUCH DER ALTEN DAME

25/03/18 Wien feiert mit zwei Opernproduktionen den 100. Geburtstag des Komponisten Gottfried von Einem. Bereits letzte Woche hatte im Theater an der Wien „Der Besuch der alten Dame“ Premiere, am Samstag (24.3.) folgte im Haus am Ring „Dantons Tod“.

Von Oliver Schneider

In der Staatsoper stand von Einems Opernerstling „Dantons Tod“ 1972 zuletzt auf den Spielplan, damals in einer Inszenierung von Otto Schenk. Die aktuelle Produktion stammt von Josef Ernst Köpplinger, dem Intendanten des Münchner Staatstheaters am Gärtnerplatz. „Dantons Tod“ ist im Verarbeiten der damals jüngsten Geschichte, der Verführbarkeit des Volkes während der Nazi-Diktatur, ein Mahnmal gegen die Korrumpierbarkeit der Menschen allgemein. Die Verurteilung George Dantons und seiner Freunde durch das Revolutionstribunal der Französischen Revolution liefert dafür nur die Verpackung. Gleichwohl – und wie für die Staatsoper nicht anders zu erwarten – lassen Köpplinger und sein Regieteam (Bühne: Rainer Sinell, Kostüme: Alfred Mayerhofer) den Abend zumindest stilisiert in dieser Zeit spielen. In einem stallartigen Tunnel, für den Jacques-Louis Davids Ballhausschwur-Gemälde Pate stand. Die Holzbretter reihen sich locker aneinander, gleichwohl gibt es weder für die nun selbst zum Tode verurteilten Revolutionäre noch für das Volk eine Möglichkeit des Entkommens. Hinter den Brettern stehen in zweigeschossigen Umgängen schon die von Robespierre Verblendeten. Dem aalglatten Führer der Jakobiner, der sich selbst die Finger nicht gerne schmutzig macht und in seinem äusserlichen Gehabe mehr einem der verhassten Adeligen ähnelt als einem Revolutionär. Thomas Ebenstein ist eine Idealbesetzung.

Die Stärke dieses Abends liegt aber vor allem in der Zeichnung des Volkes, das mal den schlüssigen Folgerungen des wortgewaltigen Juristen George Danton (fast schon mit Wotanscher Kraft Wolfgang Koch) zujubelt, mal den plakativen Verleumdungen des hinterhältigen Fanatikers Saint-Just (zu unscheinbar Ayk Martirossian) verfällt. Dieses Volk macht in seiner Korrumpierbarkeit und in seiner Bedrohlichkeit Angst. Köpplinger weiss vortrefflich, wie er die gewaltigen Massen inklusive der Statisterie (choreographische Mitarbeit: Ricarda Regina Ludigkeit) führen muss. Und selten hört man den von Martin Schebesta vorbereiteten Chor wie in an diesem Abend: präzise, kompakt singend, mächtig auftrumpfend und dabei auch dramatisch agierend. Wie aktuell von Einems Aussagen – sein Lehrer Boris Blacher hat Büchners Drama in ein Libretto umgewandelt – sind, das kann jeder Zuschauer erschauernd fühlen.

Auch im 1971 an der Wiener Staatsoper uraufgeführten „Der Besuch der alten Dame“ geht es um die Korrumpierbarkeit des Volkes. Allerdings nicht durch Gewalt, sondern durch den schnöden Mammon. Keith Warner hat die Neuproduktion im Theater an der Wien betreut. Er inszeniert den Abend als vor dem letzten Weltkrieg beginnende Zeitreise bis ins Heute. Wie eine einst von Alfred Ill verletzte Frau, vermeintliche Gerechtigkeit für sich suchend und Selbstjustiz übend, eine ganze Stadt so manipuliert, dass die Menschen moralische Bedenken über Bord werfen, um für sich ein materiell sorgloses Leben zu sichern. Das Städtchen Güllen mit biederen Häuschen im Miniformat auf Stelzen wird auf der Zeitreise von einem grauen Nachkriegsort zu einer kunterbunten, zeitgeistigen Stadt, in der man skrupellos Schulden macht und sich beim Kaufmann Ill im neuen Supermarkt gratis bedient. Denn alle wissen, im Endeffekt muss Ill für das „Wohl“ der Güllener über die Klinge springen.

Claire Zachanassian fordert den Mord an ihrem ehemaligen Liebhaber als Preis dafür, dass sie eine Milliarde in Güllen pumpt. Sind der biedere Lehrer (Adrian Eröd), der mitläuferische Bürgermeister (punktgenau gezeichnet von Raymond Very) und vor allem der bigotte und mehr an weltlichem Tand und jungen Knaben interessierte Pfarrer (Markus Butter) zunächst noch entrüstet über das Ansinnen der nur noch aus Prothesen zusammengesetzten Alten mit roten Haaren und grellen Kostümen, so sind sie letztlich nicht besser als alle anderen. Güllen, das ist bei Warner (Ausstattung: David Fielding) zuletzt der weissgekachelte Vorraum einer WC-Anlage, auf der die Güllener den Wunsch der alten Dame ausführen.

Anders als Köpplinger erhebt Warner den Mahnfinger direkter, mit grellen Bildern und mit zum Teil slapstickartig gezeichneten Personen. Das gilt vor allem für die Entourage der alten Dame, die symptomatisch als Haustier einen schwarzen Panther hält. Kartarina Karnéus gestaltet die Rolle stimmlich adäquat, mit durchaus passenden Schärfen, dürfte aber noch exzentrischer agieren. Russell Braun hingegen zeichnet den von der Masse geopferten Alfred Ill in seiner ganzen Tragik bravourös. Vorbildlich ist auch seine Textverständlichkeit im über weite Strecken geforderten parlandoartigen Gesang. Der von Erwin Ortner vorbereitete Arnold Schoenberg Chor und eine rundherum stimmige Besetzung bis in jede Kleinstpartie leisten ihren Beitrag für das Gelingen des Abends. Ähnliches darf man musikalisch auch von der Besetzung im Haus am Ring sagen mit der Herbert Lippert als emotionalem Camille Desmoulins und seiner schlussendlich wahnsinnigen Gattin Lucile, Olga Bezsmertna, Jörg Schneider als markanten Hérault de Séchelles und vielen mehr.

Im Graben des Theater an der Wiens hat Michael Boder am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien die Zügel fest im Griff. Vor allem sorgt er dafür, dass das an vielen Stellen massive Orchester die Sänger nicht zudeckt. In der Staatsoper hat die debütierende Susanna Mälkki damit schon mehr Mühe. Aber wie Boder bringt sie die an Strauss, Mahler, Hindemith und auch Wagner sich anlehnende Musik, in der gerade in den Zwischenspielen auch jazzige Elemente nicht fehlen, in ihrer ganzen Farbigkeit mit dem Staatsopernorchester zum Leuchten.

Grosser Jubel nach der Staatsopernpremiere und noch mehr Begeisterung nach der am Vortag besuchten Folgevorstellung des „Besuchs der alten Dame“. Wien hat Gottfried von Einem einen denkwürdigen Geburtstag als Mahnruf an uns alle bereitet.

„Der Besuch der alten Dame“ läuft noch am 26. und 28. März im Theater an der Wien – www.theater-wien.at
„Dantons Tod“: Aufführungen bis 9. April in der Staatsoper – https://www.wiener-staatsoper.at/spielplan-tickets/detail/event/965045066-dantons-tod/
Bilder: Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn (3); Theater an der Wien / Werner Kmetitsch (2)

 

 

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