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Im falschen Cartoon

REST DER WELT / GRAZ / HIOB

20/11/17 Eine kleine Freiheitsstatue war das Willkommensgeschenk drüben in der neuen Welt. Jetzt steht sie herum, neben den Campingsessel. Ein Ding, mit dem der alte Mendel Singer nichts anfangen kann, so wie sich diese neue Welt für ihn überhaupt anfühlt, als ob er in den falschen Film geraten wäre.

Von Reinhard Kriechbaum

Stimmt aber nicht, er gerät gar nicht erst hinein in den Film, der da heißt „American Dream“. Zu festgefahren ist er in seinem Denken, das kein solches ist, sondern bloß stures Beharren.

Joseph Roths Roman „Hiob“ in der Bühnenfassung von Koen Tachelet, vor neun Jahren für die Münchner Kammerspiele entstanden, wird unterdessen gern gespielt. An dem Stoff lässt sich über Migration und Integration nachdenken, übers Anpassen und Sich-Arrangieren mit neuen Lebenssituationen. Hiob alias Mendel Singer ist das Musterbeispiel für einen, der in alten Denkmustern hängen bleibt, lieber einsteckt als sich öffnet. Keine sympathische Figur. Mendel verdient nur begrenzt Mitleid.

Im Grazer Schauspielhaus geht es der ungarische Regisseur András Dömötör grundsätzlicher an, weniger erzählerisch als biblisch. Der Theatermann ist auf die notwendige Überprüfung welchen Gottesbilds auch immer aus, die sich Mendel mit seiner selbstgestrickten Dogmatik vom „alltäglichen gewöhnlichen armen Juden“ einfach zu ersparen hofft. Biblische Längen nimmt Dömötör in Kauf, indem er eine ganze Reihe von Nebenfiguren gestrichen hat. Sie alle mimt andeutungsweise die junge Musikerin und Schauspielerin Elmira Bahrami, eine Figur zwischen Erzählerin, Stichwortbringerin und Bühnenmusikerin. András Dömötör führt maximal weit weg vom konkreten Judentum (da ist eigentlich nur noch Mendels dicke Pelzmütze eines Chassiden übrig). Er zielt ganz allgemein auf einen fälschlich religiös begründeten Fundamentalismus, personifiziert im schwächlichen Patriarchen.

Statt dem Schtetl ein Zelt und Campingklappstühle. Eine Zwischen- oder Durchgangswelt, aus der man schleunigst hinaus sollte. Nur Mendel, der „dumme Lehrer von dummen Kindern“ sagt von sich selbst: „Ich bin zu träge für das Neue“. Die Familie zerfleddert, aber aus den Zentrifugalkräften macht András Dömötör wenig. Das lässt die Zuschauer einen Akt lang ziemlich kalt, weil die Personenbezüge nur oberflächlich herausgearbeitet sind. Bis zur Pause zieht sich's gewaltig.

Als Astronaut landet Mac (das sprichwörtliche Wesen von einem anderen Stern) und überbringt die Einladung des nach Amerika ausgewanderten Sohns Schemarjah/Sam. Ein Wolkenkratzer fliegt herunter wie eine Rakete im Rückwärtsgang. Der wird bestaunt, und alle Familienmitglieder außer Mendel drängen hinein. Drinnen werden sie zu Protagonisten in reinem recht witzigen Live-Video, ein Cartoon der grellbunten amerikanischen Welt. Mendel beobachtet's mit Kopfschütteln.

„Good“ oder „God“ – ob das zweite „o“ in der Leuchtschrift am Wolkenkratzer funktioniert oder nicht, das ist die Frage. Mendel will nur einen Vokal sehen.

Viele plausible Ansätze und praktikable szenische Lösungen sieht man an dem Abend, doch sie werden schauspielerisch nicht wirklich getragen. Im Ensemble sind weder übergroßes Charisma noch Sprechkultur beheimatet. Ein muttersprachlicher Regisseur hätte vieles nicht durchgehen lassen. Die Schauspieler wirken ziemlich auf sich gestellt und es zeigt sich, dass Joseph Roths Sätze dann doch mehr sein sollten als Phrasen zu einem – durchaus überzeugendem – szenischen Setting.

Von einem Rollentausch ist noch zu berichten. Im ersten Teil spielt Florian Köhler den jungen Mendel und Franz Solar den behinderten Sohn Menuchim. Im Amerika-Akt ist Solar der verloren-hilflose Mendel, und Florian Köhler taucht in letzter Minute als Menuchim auf. Das Deus-ex-machina-Finale, die Rettung Mendels für die Sache Gott, ist in Roman und auf der Bühne gleich heikel. Erstaunlicherweise erzeugt der Regisseur, gelingt den beiden Darstellern gerade da hohe Glaubwürdigkeit. Mit konzentrierte Ruhe erzählt Menuchim von seinem Schicksal, von seiner Heilung. Und mit sanften, übervorsichtigen Händen ergreift Mendel (Solar hat ihn zuvor mit schnarrender Stimme als skurriles Faktotum gezeichnet) von seinem verloren geglaubten Sohn wieder Besitz. Das hat choreographische Intensität, da ist Mendel plötzlich Mensch. Ähnlich genaue Schauspieler-Arbeit hätte man in den zwei vorangegangenen Stunden gerne gesehen.

Aufführungen bis 4. Februar – www.schauspielhaus-graz.com/
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lupi Spuma

 

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