asdf
 

Invitat aves, bestias...

CD-KRITIK / FRANZISKUS VIR CATHOLICUS

20/09/24 Die Franziskaner feiern gleich vier 800-Jahre-Jubiläen in Sachen ihres Ordensgründers hintereinander. Passend zu dieser Jubiläums-Bündelung ist eine CD mit der Grazer Choralschola erschienen, und dieses Programm ist auch in einem Konzert morgen Samstag (21.9.) in der Salzburger Franziskanerkirche zu hören.

Von Reinhard Kriechbaum

Die Franziskus-Jubiläen Schlag auf Schlag: 1223 hat der Heilige im Wald von Greccio die erste (lebende) Weihnachtskrippe nachgestellt und damit die Krippen-Tradition begründet. 1224 soll er die Stigmata bekommen haben. 2025 wird sein Sonnengesang achthundert Jahre alt. Und 2026 schließlich jährt sich Franziskus' Todestag. Er war der Promi-Heilige seiner Zeit schlechthin, und so haben sich Dichtung und Musik seiner ganz schnell angenommen: Julian von Speyer, gestorben 1250 in Paris, war Kapellmeister am Hof der französischen Könige Philipp II. und Ludwig VIII. Er ist 1225, also noch zu Lebzeiten des Heiligen, in den Franziskanerorden eingetreten. Um 1230 dichtete und komponierte Julian von Speyer das Reimoffizium über das Leben des Ordensgründers. Jedes Jahr an seinem Festtag sollten die Mönche im Stundengebet Leben und Spiritualität singend rekapitulieren. Die Reimform begünstigte das Merken. Latein konnten die Kleriker ja.

Invitat aves, bestias heißt es da in einer Antiphon. Die Vögel und wilden Tiere also lud Franziskus zum Lob Gottes. Die Menschen sowieso. Die Formulierungen für die Gesänge zur Vesper, zu den Nachtgebeten oder zu den morgendlichen Laudes prägten das Franziskus-Bild bis in unsere Zeit – schließlich wurde der Text bis zur Liturgiereform des Zweiten Vatikanums, also bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, in den franziskanischen Klöstern gesungen oder zumindest rezitiert.

Wir sind mit dieser in Quadratnoten auf vier Notenlinien geschriebenen Komposition in einer Zeit ein halbes Jahrtausend nach „Erfindung“ des Gregorianischen Chorals. Da stellt sich die Frage des interpretatorischen Zugangs. Vom Spätmittelalter her oder von den gregorianischen Ursprüngen aus? Franz Karl Praßl und die Grazer Choralschola stehen für den semiologisch fundierten (also auf Neumen basierenden) Umgang mit dieser Musik. Praßl erkennt auch im 13. Jahrhundert noch die Grundprinzipien der Gregorianik, „von deren Ursprüngen zwar in vielen Details, aber nicht prinzipiell entfernt“.

Das heißt konkret eine „erzählerische“, mithin am Wort, seiner Betonung und Gewichtung orientierte Interpretation. Wo Wörter und Silben in Melismen gefasst sind, werden diese Tongruppen ganz im Sinne der Neumen gestaltet. Diese Notenzeichen waren zwar mit der Entwicklung der Notenschrift auf Linien (um 1000) obsolet geworden, aber das Wissen um sie mag tatsächlich noch lange, über Jahrhunderte wach geblieben sein. Schließlich waren handgeschriebene liturgische Handschriften mit Neumen auf kostbarem Pergament noch vielerorts lange in Verwendung.

Die Grazer Choralschola – acht Männer – gestaltet diese Notengruppen also mit ebenmäßigem Legato, aber mit sehr lebendiger Differenzierung in der Länge der Notenwerte. Das zielt immer auf sinnstiftende Akzentuierung der entscheidenden Formulierungen im Text hin.

Das Reimoffizium des Julian von Speyer nimmt in etwa anderthalb CDs in Anspruch. Auf der zweiten CD eine weitere Pretiose franziskanischer liturgischer Musik: der so genannte Transitus, die Gesänge und gesungenen Gebete zur Todesstunde des Heiligen. Im Grazer Franziskanerkloster und der dortigen Universitätsbibliothek hat Franz Karl Praßl obendrein zwei Alleluja-Gesänge und einen auf Franziskus gemünzten spätmittelalterlichen Lobgesang, eine Variante des Gassenhauers Laetabundus, aufgestöbert. Im Graduale Romanum, dem zentralen Choralbuch der römisch-katholischen Kirche, gibt es ja – bis auf ein Alleluja – keine Proprium-Stücke für den heiligen Franziskus.

Das Reimoffizium des übrigens selig gesprochenen Julian von Speyer wird in jener Fassung aus dem Franziskanerkloster im schweizerischen Fribourg gesungen, an die deren Text der heilige Bonaventura Hand angelegt hat. Man ist da also auf allerhöchster mittelalterlicher Theologen-Ebene unterwegs. Wie im monastischen Stundengebet üblich, sind die Antiphonen mit Psalmversen verbunden, aber selbst beim Magnificat immer nur mit einem oder wenigen Versen. So wird das Ohr nicht ermüdet – und das tut es schon deshalb nicht, weil all diese Gesänge im Tonumfang ja über den frühmittelalterlichen Choral hinaus gehen und in den Tonarten ganz unterschiedlich liegen, von Bass- bis Tenorlage. Das Franziskus-Reimoffizium ist zur Zeit der früheren Minnesänger, der Troubadours und Trouvères entstanden. Julian von Speyer war nur ein wenig jünger als Walther von der Vogelweide. Er war kein nebenher komponierender Mönch, sondern kannte als Hofkapellmeister zweier französischer Könige im frühen 13. Jahrhundert die Musik seiner Zeit. Er war also ein Profi, der damals Maßstäbe setzte.

Franz Karl Praßl und die Choralschola des Instituts für Kirchenmusik an der Universität Graz haben in Frauern-Besetzung vor einigen Jahren schon das Clara-Offizium aufgenommen, das sich ebenfalls der Melodien des Julian von Speyer bedient.

Franziscus Vir Catholicus. Reimoffizium des Julian von Speyer und Transitus: Grazer Choralschola, Leitung Franz Karl Praßl. Zu bestellen in den Franziskanerklöstern und unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! www.franziskaner.ch
Clarae Caritas. Offizium und Messe am Hochfest der heiligen Klara von Assisi aus dem Franziskanerkloster Graz: Choralschola des Instituts für Kirchenmusik an der Universität Graz – www.franziskaner.at

Konzerte in den Franziskanerkirchen in Graz, Freitag (20.9., 19 Uhr), Wien Samstag (21.9., 19 Uhr) und Salzburg Sonntag (22.9., 20 Uhr). Weitere Konzerte in der Wallfahrtskirche Kloster Schwarzenberg in Bayern (11. Oktober 19 Uhr), in der Liebfrauenkirche Zürich (12. Oktober 20 Uhr) und in der Eglise des Cordeliers Fribourg (13. Oktober 17 Uhr) – www.franziskaner.ch

Bilder: Booklet (2); dpk-krie (1)

 

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014