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White Stripes und kein Blatt vor dem Mund

RAURISER LITERATURTAGE / SCHÄTZER

31/03/23 Weiße Bänder ziehen von den Anhöhen und Bergen in das Raurisertal herab, alles, was von den Schipisten übriggeblieben ist. Vereinzelt schwarze Punkte und Pünktchen, Andeutungen von Menschen, die den vielen braunen Stellen ausweichen... Im Mesnerhaus neben der Dorfkirche beginnt die Lesung von Felicia Schätzer.

Von Simon Elias Unteregger

Als „böse Parabel auf unsere Gegenwart“ bezeichnet die Jury den Text Sonnenuntergang der Girls von Felicia Schätzer, für welchen die junge Autorin den diesjährigen Förderpreis der Rauriser Literaturtage erhielt. Der Text gibt Einblicke in das Leben und Lebensgefühl von Jugendlichen in ihrer Adoleszenz, von der 12-jährigen Milly über die 14-jährigen Bobby bis zur 19-jährigen Jenny. Die sprachliche Varietät der Jugendszene(n) aufgreifend, werden Ausschnitte aus dem Leben der Freistädter Teenager an zwei Sommertagen geschildert.

Die Bäume in Rauris tragen noch keine Blätter und auch Felicia Schätzer nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie zeigt, was hinter den Blättern liegt, die Verzweigungen, Risse und Brüche, über die Politik und Gesellschaft – die „Welt der Erwachsenen“ – gerne einen euphemisierenden Mantel oder einfach Unverständnis ausbreiten. Drogen und Alkoholkonsum, Soziale Medien und idealisierte Körperbilder, dorthin flüchten die Jugendlichen, hinaus aus einer Welt, die von ihnen als leer empfunden wird, die wenig Raum für Träume lässt. Ihre Träume liegen außerhalb, außerhalb des Rahmens, in den sie in einer österreichischen Kleinstadt gestopft werden.

So sehnt sich Jenny, die DMT (ein Halluzinogen, Anm.) aus Baumrinde und einigen weiteren Ingredienzen herstellt, nach New York und einer Millionen Dollar in zerknitterten Scheinen. „Aus dem Rahmen“, das Thema der diesjährigen Rauriser Literaturtage, wird im Text wiederholt und ambigue aufgegriffen. Normative gesellschaftliche und familiäre Ansprüche, Körperbilder und enge Bikinis, Rahmen, aus denen die jungen Frauen fallen. Thematisiert und eindrücklich inszeniert wird im Text auch systematische sexuelle Gewalt gegen Frauen und das Wegsehen von Gesellschaft und Exekutive, im Text verkörpert durch den jungen Polizisten Marko. Als „Pipifax“ bezeichnet es dieser, wenn ein Junge ein Mädchen in der Umkleidekabine beobachtet und masturbiert „Der Typ hat ihr schon nichts weggeschaut.“  

Wie bereits in den Eröffnungsreden angesprochen, thematisiert auch Johann Georg Lughofer in seiner Laudatio auf Felicia Schätzer bei der Preisverleihung am Donnerstag (30.3.) durch eine Interpretation der brennenden Europaflagge am Ende des Textes, prekäre europäische Verhältnisse. Zudem sublimiert er eindrucksvoll das existenzielle Leeregefühl, dass die Weltwahrnehmung der Jugendlichen prägt. Sie wollen etwas Besonderes sein, sich abheben vom Massenmenschen, und lösen sich in diesem Wunsch und in ihrer Flucht in die Sozialen Medien jedoch auf. Hier finden sie neue Rahmen, die von der Konsum- und Industriekultur des Spätkapitalismus gesetzt werden.

Interessierte finden den sehr empfehlenswerten, vielseitigen und kritischen Text von Felicia Schätzer in der Sonderausgabe der Literaturzeitschrift Salz zu den Rauriser Literaturtagen 2023.

Bilder: RLT / David Sailer
Für DrehPunktKultur berichten Studentinnen und Studenten von Clemens Peck im Rahmen der Lehrveranstaltung „Literaturbetrieb und literarisches Leben in Österreich (Rauriser Literaturtage 2023)“ am Fachbereich Germanistik von den Rauriser Literaturtagen
Die Rauriser Literaturtage dauern bis Sonntag (2.4.)
Einzelne Veranstaltungen werden zeitversetzt jeweils eine Woche nach dem Termin via Website der Rauriser Literaturtage bzw. über deren Partner FS1 zwei Wochen online bereitgestellt – www.rauriser-literaturtage.at

 

 

 

 

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