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Theoretisch ein Thriller

NEU IM KINO / ALMODÓVAR /DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE

14/10/11 Ein luxuriöses Anwesen. Ein ummauerter Garten. Ein Paradies. Seine Bewohner werden freilich nicht von der Schlange zu Fall gebracht, sondern vom Gewürm des Wahnsinns, das in ihnen frisst. Das klingt spannender als „La piel que habito“ - nach dem Roman von Thierry Jonquet - tatsächlich ist. Denn auch der neue Almodóvar ist vor allem ein Almodóvar: hoch ästhetisch und schwer opulent.

Von Heidemarie Klabacher

altMan könnte auch diesen Almodóvar an jeder x-beliebigen Stelle anhalten, das Still herausschneiden, vergrößern und - in einem reich geschnitzten vergoldeten Rahmen - als Zierde in die Barockabteilung jedes Museums hängen. Manches würde als Gemälde inhaltlich ein wenig bizarr anmuten. Die Szenen aus dem Operationssaal zum Beispiel - aber auch dort geht es blitzblank und ästhetisch zu. Die Küche auf „El Cigarral“, dem Landhaus mit angeschlossener Privatklinik, wäre in ihrer südlich sinnlichen Durchsonnheit ein ideales Genremotiv - trotz der modernen Überwachungs-Bbildschirme. Es dürfte halt nicht just das Bild mit der gefesselten und geknebelten Haushälterin sein. Wäre der Mann im Tigerkostüm im (Öl)-Bild, könnte man dagegen schon wieder von Surrealismus faseln.

Die Zierde der Gemälde-Sammlung nach dem neuen Almodóvar wären freilich die Porträts: Nah- und Detailaufnahmen vom Gesicht einer wunderschönen jungen Frau. Immer wieder sieht man sie auf den Bildschirmen in der Küche, aber auch auf dem wandgroßen Bildschirm im Schlafzimmer des Dr. Legard.

Wer ist diese schlanke Frau im hautfarbenen Ganzkörper-Body, die offensichtlich gefangen gehalten wird, ihre Situation aber mit der größten Gelassenheit zu betrachten und zu ertragen scheint. Ob allein mit Yoga eine solche Seelenruhe zu erringen ist? Ist sie womöglich freiwillig da? Ganz geheuer ist ihre Anwesenheit nicht - zumindest nicht der Haushälterin Marilia, die den Doktor immer wieder auffordert, die junge Frau endlich zu töten. Er habe sie seiner verstorbenen Ehefrau zu ähnlich gemacht, meint sie…

Dass Antonio Banderas als plastischer Chirurg Dr. Robert Ledgard nach zwanzig Jahren wieder in einem Film von Großmeister Pedro Almodóvar mitspielt, ist inzwischen bekannt. Auch, dass dieser Ledgard an der Entwicklung einer unzerstörbaren menschlichen Haut arbeitet, nachdem seine Frau Gal bei einem Autounfall verbrannt ist.

Dass Gal mit einem Liebhaber unterwegs war, den Unfall überlebt und erst zwei Jahre später Selbstmord begangen hat, nachdem sie ihr verstümmeltes Gesicht in einer spiegelnden Fensterscheibe erblickt hat, kann man noch erzählen. Auch noch, dass die Tochter Norma durch den Selbstmord der Mutter schwer traumatisiert wurde.

altAus diesen Bestandteilen und Motivsträngen - vor dem entscheidenen Hintergrund, dass Legard ein genialer (und wahrscheinlich wahnsinniger) Forscher ist - entwickelt Pedro Almodóvar etwas, das in seinen raffinierten Vor- und Rückblenden ein atemberaubender Suspense-Film sein könnte.

Könnte: Denn vor lauter Bemühen, nur ja kein Blut zu zeigen (was ihm empfindliche Kinogänger durchaus auch positiv ankreiden) bleibt die ganze Geschichte tatsächlich seltsam blutleer. Vor lauter Bemühen, nicht an der glatten Oberfläche zu kratzen, bleibt in dieser Regie vor allem Antonio Banderas (reifer, aber attraktiver denn je) als Hauptfigur Robert Ledgard vollkommen eindimensional, ja farblos. Dass ihn der Tod seiner Frau einst mitgenommen hat, kann man voraussetzen. Dass ihm die junge Frau ihm Obergeschoss irgendetwas bedeutet, kann man vermuten.

Elena Anaya als geheimnissvolle Vera muss ebenfalls vor allem schön sein. Bei ihr spürt man aber, dass hinter den großen Augen, die aus dem makellosen unbewegten Gesicht blicken, ein Abgrund dräut.

altTatsächlich aber wollen sich Härchen im Nacken des Betrachters auf 125 Minuten eigentlich nur einmal aufstellen: Als die Nahaufnahme Details der „Tapete“ im Zimmer der Gefangenen zeigt.

Wenn schon nicht Gruseln, dann halt dechiffrieren. Zeit dafür ist genug bei der getragenen Kameraführung von José Luis Alcaine: Pygmalion und Frankenstein fallen einem ein, wenn auch das Ergebnis der Experimente des Dr. Robert Ledgard viel anziehender ist, als das der Holzhammer-Versuche des Dr. Viktor Frankenstein. Die verworrene Identitäts-Wechsel-Geschichte in Alfred Hitchcocks Meisterwerk „Vertigo“ geht einem ebenfalls durch den Kopf. Und schon in der Eingangssequenz fällt einem mit Luis Buñuels „Tristana“ das erste Meisterwerk ein: Almodóvar hat Toledo vom selben Kamerastandpunkt aus in den Blick genommen, wie weiland Buñuel - und auch der Verlauf der Story erlaubt Assoziationen.

Ein bislang unbekanntes allerletztes Streichquartett von Beethoven oder Schubert spielt aber nicht mit: die geniale Musik ist von Alberto Iglesias.

Bilder: www.tobis.de


 

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