Von tektonischen und menschlichen Verwerfungen
DIAGONALE / DOKUMENTARFILME
22/03/19 Drei ganz unterschiedliche dokumentarfilmerische Blicke auf unsere Zeit bei der Diagonale in Graz: Inland von Uli Gladik, The Remains – Nach der Odyssee von Nathalie Borgers und Erde von Nikolaus Geyrhalter.
Von Reinhard Kriechbaum
Das Kaffeehaus, in dem sich die junge Dokumentarfilmerin Uli Gladik über Jahre umgetrieben hat, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, heißt Florida. Die Weltsicht der dort verkehrenden Kundschaft ist nicht ganz so weltsichtig, wie der Name nahe legt. Was viele von ihnen eint: allergrößtes Misstrauen gegen Ausländer (um es vorsichtig zu formulieren). Vor allem deshalb haben sie der SPÖ den Rücken gekehrt und wählten zuletzt blau.
Inland heißt folgerichtig der am Donnerstag (21.3.) bei der Diagonale in Graz uraufgeführte Dokumentar-Langfilm. Das Besondere: In einem politisch klar zuzuordnenden Metier (die FPÖ-Affinität der hier vertretenen Filmemacher wie ihres Publikums dürfte an der Nullprozentmarke kratzen) ist es alles andere als selbstverständlich, die eigene Echokammer zu verlassen. Uli Gladik ist im Umgang mit diesen Leuten eine gute Zuhörerin geworden. Und sie hat sich davor gehütet, zuviel, zu provokant zu fragen.
Das Kurz-Denken jener, die dem Populismus auf den Leim gehen, kommt so und so gut heraus. Da ist der Wiener Magistratsangestellte, dessen Eltern als „Ziegel-Böhm“ seinerzeit Neuankömmlinge in Wien waren und der Ressentiments in der Volksschule als Kind noch selbst erlebt hat. Das hindert ihn heutzutage freilich nicht daran, gegen Türken herzuziehen. Die Belästigung sei ja wirklich permanent. Täglich biete ihm ein türkischer Arbeitskollege Kostproben aus seiner Heimat an, auch wenn er gerade beim Schweinsbraten sitze... Übrigens: Beim türkischen Friseur „kommt man als Österreicher ja gar nicht dran“. Dennoch ist Herr Chalupetzki Stammkundschaft bei einem türkischen Haarschneider. Ist ja keiner so billig, und „ein türkischer Haarschnitt ist eben der Beste“. Kann man nichts machen.
Der haftentlassene Alexander spintisiert sogar von einem „Bürgeraufstand gegen die Ausländer“. Er selbst wohnt im Obdfachlosenheim und bekommt auf Staatskosten Gratis-Psychotherapie. Aber Sozialleistungen für Ausländer? Der denkbar größte Skandal für ihn... So diffus die Ausländer-Ressentiments auch sind, klar wird in Uli Gladiks Dokumentarfilm das Versagen der SPÖ über Jahrzehnte. Da hat es mit der Kunden-, sprich Wählerbindung so ganz und gar nicht geklappt. Es lohnte sich für manchen Funktionär, sich diesen Film nicht nur anzuschauen, sondern auch zu Herzen zu nehmen.
Ausländer-Perspektive von der anderen Seite: Nathalie Borgers hat sich für The Remains – Nach der Odyssee nicht nur auf der griechischen Insel Lesbos umgesehen. In Wien macht sie uns bekannt mit einer kurdischen Familie, die viele, viele Mitglieder beim Untergang eines Schlepperschiffs verloren hat. „Jetzt haben wir einen Knoten im Hals“, sagt das Familienoberhaupt – und das ist eine mehr als dezente, ja fast eine poetische Formulierung für unsagbares Leid.
Einnehmend an diesem Film ist, wie selbstverständlich er geschnitten ist. The Remains, also die übrig Gebliebenen, sind ja nicht nur Verlierer. Als Grabplatten-Graveur lässt es sich auf Lesbos gut leben, und aus den abgelegten oder an Land gespülten Schwimmwesten lässt sich sogar Material herausschneiden, aus dem man stylische Handtaschen machen kann. Derweil schlucken jene, die Frau und Kinder verloren haben bei der Schiffskatastrophe in der Ägäis, in Wien Psychopharmaka, um den Schmerz einigermaßen zu bewältigen. Eindrucksvolle Menschenbilder.
Auch die Erde leidet. Nikolaus Geyrhalter ist in der österreichischen Dokumentarfilmszene ja seit langem der Spezialist für große Themen. Erde heißt sein neuestes, bereits auf der Berlinale vorgestelltes Opus. Die Natur arbeitet kräftig und verlagert etwa durch den Wind jedes Jahr geschätzte sechzig Millionen Tonnen Oberflächenmaterial. Der Mensch schafft mit High-Tech-Gerät mehr als das zweieinhalbfache, 156 Millionen Tonnen. Für Geyrhalter ein Anlass, dorthin zu gehen, wo gesprengt, gegraben, gebaggert wird. Faszinierende Bilder von menschengeschaffenen Steinwüsten, von aberwitzig-utopisch anmutenden Gerätschaften.
Der Lärm liegt leitmotivisch über diesem Film, denn „wenn es um Resourcen geht, ist es immer gewaltvoll“, sagt einer der Auskunftgeber. „Die Erde schenkt uns nichts.“ Geyrhalter hat bei den Leuten in diesen gigantomanischen Stein-Abbaugebieten – Chefs wie Arbeitern – auf Fragen des Umgangs mit der Natur insistiert. Die Antworten fallen sehr unterschiedlich aus. Ein Arbeiter in den legendären carrara-Steinbrüchen in Italien genießt das Ansteigen des Adrenalinspiegels vor den Marmor-Wänden, und er sagt: „Mit unserem Beruf ruinieren wir eben ein bißchen die Berge.“ Im spanischen Rio Tinto, wo schon die Römer nach Kupfer schürften, fällt die Aussage eines Archäologen deutlich pessimistisch aus: „Die Menschen lernen nicht, weder aus der Geschichte noch aus sonst etwas.“