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Die splitternackte Gegenwelt

FILMKRITIK / LOS DOCENTES (DIE LIEBHABERIN)

03/04/17 „Eine Komödie?“, fragte der Moderator nach der Festival-Präsentation in Graz. Darauf sinnierend der aus Salzburg stammende, in Argentinien lebende Filmregisseur Lukas Valenta Rinner: „Eine sehr dunkle vielleicht.“ Ein eigenartiger Film, was vielleicht auch erklärt, dass sein spanischer Titel so ganz und gar nichts zu tun hat mit der deutschen Synchronfassung.

Von Reinhard Kriechbaum

„Los docentes“ - das sind die Lehrer. Auf Deutsch ist draus „Die Liebhaberin“ geworden. Viel spricht für den Originaltitel, denn mit Lehrmeistern, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, ist Belén konfrontiert. Wir lernen die junge Dame kennen als ein duckmäuserisches Wesen. Irgendwie schaut sie wie frisch verprügelt aus. Die eingezogenen Schultern, der unsichere Blick – das machte neugierig darauf, wie übel ihr wohl bisher mitgespielt worden ist. Aber das ist nicht das Thema, davon erfahren wir nichts. Absolut nichts wird sie im Verlauf der hundert Minuten von sich und ihrem bisherigen Leben preisgeben. Belén bekommt einen Job als Hausmädchen in einer Gated Community in Buenos Aires. Ohne Perlustrierung kommt keiner hinein in dieses geschützte Revier der Upper Class. Die Leute führen sich entsprechend arrogant auf. Schon das Nebeneinander von Reichen und Bediensteten gäbe Zünd- und damit Filmstoff her.

Geräusche machen das Hausmädchen aufmerksam. Bei einem Blick über die Hecke entdeckt sie eine höchst eigenartige Parallel-Welt in der unmittelbaren Nachbarschaft: „Das Nudisten-Swinger-Camp gibt es dort wirklich“, so Lukas Valenta Rinner, so wie das hermetisch abgeriegelte Gebiet der Upper-Class.

Die Freizügigen auf der einen Seite, die Superreichen mit erheblichen psychosozialen Defiziten auf der anderen. Kein größeres gesellschaftliches und ideologisches Gefälle ist denkbar. Belén, die sich die Sache erst höchst skeptisch und mit Skrupeln anschaut, wird Mitglied der Nudisten-Gruppe, die wie ein versprengtes Häuflein von Blumenkindern der 1968er anmutet. So ist sie fortan Swingerin zwischen diesen beiden Gruppen mit extrem unterschiedlichen Blickwinkeln auf die Welt. Die Reichen schauen argwöhnisch auf die Nudisten und wollen sie weg haben aus der Nachbarschaft. Ein Unglücksfall bei der Vogeljagd im Dschungelcamp der Nackten spielt ihnen zu und führt zu einem gänzlich unerwartet eintretenden Showdown. Belén, die Hauptfigur, wird zu dem Zeitpunkt entschwunden sein. So beiläufig, wie sie in die Geschichte eingeführt wurde, ist sie auch wieder weg. Vielleicht zieht sie jetzt weiter, wird Bedienstete in einem anderen Haus und dort den Kopf noch mehr einziehen, noch scheuer ausschauen und noch viel weniger reden. Aber das ist schon Mutmaßung.

Streng, schematisch, durch und durch klischeehaft und doch stilvoll handelt Lukas Valenta Rinner dieses Pendeln zwischen den Polen ab. „Ich finde es wichtig, Filme zu machen, die eine Diskussion darüber anstoßen, wie Körper und menschliche Beziehungen in der zeitgenössischen Gesellschaft wahrgenommen, behandelt und verhandelt werden“, schreibt der Regisseur im Diagonale-Almanach. Die Außenbezirke von Buenos Aires würden viel zu selten thematisiert im argentinischen Film, weiß er. Nacktheit, so der junge Regisseur, sei in Argentinien bis heute ein absolutes Tabu-Thema. Vielleicht nimmt ein europäisches Publikum den Film als weniger brisant wahr.

Es war übrigens gar nicht wirklich die Österreichische Erstaufführung bei der Diagonale in Graz, wie es dort heißt. „Das Kino“ in Salzburg war im Rahmen des Lateinamerika-Filmfestivals ein paar Tage früher dran. Dort lief der Streifen unter seinem Originaltitel.

Lukas Valenta Rinner (geboren 1985 in Puch) zog mit 18 Jahren nach Spanien, dann weiter nach Argentinien, wo er ein Filmstudium an der Universidad del Cine in Buenos Aires absolvierte. 2010 realisierte er seinen ersten Kurzfilm, „Carta a Fukuyama“, mit dem er auch gleich im Programm des Festivals des Österreichischen Films „Diagonale“ landete. 2012 gründete er die argentisch-österreichische Produktionsfirma Nabis Filmgroup, die seinen Debüt-Spielfilm produzierte. Sein Spielfilm-Debüt, das Endzeit-Drama „Parabellum“, hat 2015 bei der Diagonale den Preis der Jugendjury als Bester Nachwuchsfilm bekommen. Nun also, nach einigen weiteren Festivalauszeichnungen für „Die Liebhaberin“, auch der große Diagonale-Preis.

Bilder: Nabis Filmgroup (2); dpk-krie (1)

 

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