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Das weitere Schicksal der „Schutzhäftlinge“

DOKUMENTATION / NOVEMBER-POGROM (3)

11/11/13 Die Meldung eines Vorfalls wurde vom Sicherheitsdienst der SS zurückgehalten: In der Nacht vom 9. zum 10. November wurde in der Linzer Gasse auf das Haus der jüdischen Familie Fürst geschossen. Der Täter war bekannt, blieb aber ungeschoren. – Der Salzburger Historiker Gert Kerschbaumer über das November-Progom vor 75 Jahren.

Von Gert Kerschbaumer

032Richtig ist, dass die Zahl der verhafteten männlichen Juden deutlich höher ist als die Zahl der in das KZ Dachau deportierten. Aus den Akten geht hervor, dass beispielsweise Fritz Kollinsky, Jahrgang 1875, und Sigmund Schmelz, Jahrgang 1878, demnach ältere Juden, die zum Christentum konvertierten, im November 1938 im Polizeigefängnis am Rudolfsplatz inhaftiert waren, hernach abgeschoben, also nicht deportiert wurden. Laut jüngstem Forschungsstand (Mitteilung der 033KZ-Gedenkstätte Dachau vom 31. Oktober 2013) wurden 26 männliche Juden, Jahrgänge 1883 bis 1914, fast ausnahmslos „Glaubensjuden“, darunter Rabbiner Dr. David Margules und Otto Löwy, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, am 12. November 1938 vom Polizeigefängnis am Rudolfsplatz in das KZ Dachau deportiert. Unter den Dachauer „Schutzhäftlingen“ aus Salzburg befand sich auch der Arzt Dr. Paul Freund, 1893 geboren, der laut Zugangsbuch evangelisch war, wohl der einzige konvertierte Jude. Bekannt ist außerdem, dass an diesen Tagen weitere Salzburger Juden, zum Beispiel Max Sonn in Linz und Martin Schönhorn in Wien verhaftet und ebenfalls nach Dachau deportiert wurden.

Im KZ Dachau wurden offensichtlich alle Salzburger Juden nach einigen Wochen, spätestens im Jänner 1939 entlassen, allerdings mit der Auflage, das Deutsche Reich umgehend zu verlassen, was jedoch nicht allen gelang, wie wir heute wissen: Der in Dachau entlassene Witthold Wagen und seine Frau Sossie wurden im März 1940 nach Wien abgeschoben und im Juli 1942 direkt nach Auschwitz deportiert. Der ebenfalls in Dachau entlassene Leo Köhler, vormals Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, wurde 1944 im besetzten Italien verhaftet und von dort nach Bergen-Belsen oder Auschwitz deportiert. Seine Eltern, seine Ehefrau und Tochter überlebten den Terror.

034Die im November 1938 verbreitete Nachricht, Salzburg sei „judenfrei“, ist falsch. In Salzburg verblieben vorwiegend Jüdinnen und Juden, die zum katholischen oder evangelischen Glauben konvertierten und nicht-jüdische Partner respektive Partnerinnen hatten, jedoch ebenfalls Betroffene der Nürnberger Rassengesetze waren und somit gefährdet waren. Gewiss ist auch, dass einige Konvertitinnen und Konvertiten im Mai 1939 bei der „Sonderzählung der Juden“ ihre „Abstammung“ nicht deklariert hatten und im Laufe der Kriegsjahre in die Fänge der Gestapo gerieten, zum Beispiel Maximilian Hermann, ein Familienvater, der im Mai 1942 nach Flossenbürg deportiert und noch im selben Monat beim „Fluchtversuch“ erschossen wurde – eines der vielen Opfer des Rassenwahns, mindestens 84 aus der Stadt Salzburg, nicht mitgezählt die Opfer, die Salzburg schon vor dem Gewaltjahr 1938 verlassen hatten: zum Beispiel die gebürtige Salzburgerin Hedwig Fürst, verehelichte Bisentz.

Am 22. August 2007 wurden die ersten „Stolpersteine“ zum Gedenken an die in Auschwitz ermordete Familie Löwy vor dem Haus Linzer Gasse 5 verlegt. Das Haus gehörte den in Salzburg geborenen Geschwistern Fürst: Die schwer erkrankte Witwe Martha Stein starb im Juli 1938 in Salzburg, musste also die Demolierung ihres Geschäftes im Parterre ihres Hauses nicht miterleben. Dem aus dem KZ Dachau entlassenen Arthur Fürst und seiner Familie gelang die Flucht in die USA. Seine Schwester Hedwig, Miteigentümerin des Hauses, und ihr Ehemann David Bisentz, beide in Wien lebend, wurden in Theresienstadt ermordet. Nach der Befreiung Salzburgs wurde das von Josef Falkensteiner „arisierte“ Haus Linzer Gasse 5 nicht restituiert. (Ende der Serie)

Gert Kerschbaumer ist Mitglied des Personenkomitees Stolpersteine-Salzburg und des Projektes Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus.

Über das Kunstprojekt „Stolpersteine“ von Gunter Demnig, für das seit 2007 bis jetzt 217 Gedenksteine verlegt wurden - www.stolpersteine-salzburg.at
Bilder: Stadtarchiv Salzburg, Fotoarchiv Franz Krieger (3); Komitee Stolpersteine Salzburg (1)
Zum ersten Teil der Folge Einige Namen von den "Judenlisten"
Zum zweiten Teil der Folge „…7 Geschäfte und die Synagoge zerstört“

 

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