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Analogiezauber

STICH-WORT

08/03/23 Sie besorgen für Neujahr vorsorglich Glücksschweinderl aus Marzipan? Sie schauen, dass zu Ostern ein Lämmchen oder ein Hase, aus Brotteig gebacken, auf dem Frühstückstisch steht? Heute, am Weltfrauentag (8.3.), wäre eine Semmel in Vulva-Form am Frühstückstisch fällig gewesen. Sorry, wir haben's zu spät geschnallt, aber wir hoffen, eine solche im Lauf des Tages noch irgendwo zu ergattern.

Von Reinhard Kriechbaum

Die Salzburger Grünen teilen die Vulva-Semmeln aus, unter anderem auf dem Hanuschplatz. Zweihundert haben sie backen lassen für den Anlass. Das Herz des gelernten Volkskundlers pocht aufgeregt. „Gebildbrot“ ist die Fachbezeichnung für handgeformtes, also „gebildetes“ Brot. Damit hoffte man in früheren Zeiten, dem Lebensglück (welchem auch immer) nachzuhelfen.

Im Salzburgischen waren zum Beispiel als Patengeschenk kleine Hirsche und Hennen beliebt. Die Buben bekamen die Hirsche, denn in diesem Tier stecke männliche Kraft. Die Mädchen wurden mit den Hennen beglückt, denn diese Tiere standen fürs Behüten. So erklärt das eine Loferer Bäckermeisterin, die solche österlichen Gebildbrote immer noch anbietet. Die Sache mit dem Behüten erklärt wohl, warum sich die Grünen gegen Semmeln in Hühnerform entschieden haben. Glucken wollen sie gewiss nicht seibn, schon gar nicht am Weltfrauentag.

Die Vulva-Form erinnert uns an andere Gepflogenheiten, die uns heute ein wenig schrullig vorkommen. Bei Wallfahrten hat man nicht selten Dinge in die Kirchen getragen, die das jeweilige Anliegen bildhaft machen sollten. Da geht es um eine Art Analogiezauber. Stand die Gesundheit des Viehs auf dem Spiel, hat man Figuren in Form von Kühen, Ochsen oder Pferden vor der Statue des dafür zuständigen Heiligen abgelegt. In dem Fall also beim Viehpatron Sankt Leonhard. Die Gesundheit des Betenden war immer wichtig, und so konnte schon die Heilige Lucia ein Ding in Augenform vorgelegt bekommen. Auch Gliedmaßen, Herzen oder gar weibliche Brüste wurden nachgefomt, womit wir der Vulva-Semmel schon sehr nahe kommen. Übrigens galt den Alten die Kröte als Synonym fürs weibliche Geschlecht. Die Semmel-Kröte bleibt uns gottlob erspart.

Ein bisserl eigenartig finden wir das vulvaförmige Gebildbrot ehrlicherweise schon. Wäre der Weltfrauentag nicht gerade der Anlass, Frauen nicht auf ihre Geschlechtsmerkmale hin zu reduzieren? Aber vielleicht versteht der Schreiber dieser Zeilen etwas nicht, weil er ein Mann ist.

Dass die frauenspezifische Medizin unterentwickelt ist, legt vielleicht doch einen Besuch in der Kirche nahe. Die ist zwar ein Männerverein, aber irgendwo wird in Salzburg sollte sich ja doch eine Figur der Heiligen Hildegard von Bingen finden. Die Äbtissin aus dem frühen Mittelalter gilt in der katholischen Esoterik ja als die Heilkundige schlechthin.

Ach, da fällt uns noch was ein. Falls heute Abend in Filzmoos, vor dem „Filzmooser Kindl“, die eine oder andere Vulva-Semmel herumliegen sollte, sind's gewiss Votivgaben der Grünen. Das dortige Jesuskind mit Glöckchen ist zuständig, um zu Nachwuchs zu kommen. Solchen haben die Grünen, betrachtet man die letzten Wahlergebnisse, durchaus nötig. Und die Vulva wäre eine nicht unplausible einschlägige Devotionalie.

Bild: Die Grünen / Anna Pirato

 

 

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