Neues aus dem Koloraturen-Buffet
FESTSPIELE / LA CENERENTOLA
22/08/14 Wie schon nach der Premiere bei den Pfingstfestspielen: denkbar größter Jubel für Rossinis „Cenerentola“, die Regisseur Damiano Michieletto im schäbigen Buffet den Boden aufwischen lässt. Cecilia Bartoli ist das Aschenputtel mit den gelben Gummihandschuhen und der Koloraturen-Urgewalt.
Von Reinhard Kriechbaum
Die Inszenierung ist, das bestätigt das Wiedersehen nach gut zehn Wochen, das mit Abstand Geglückteste, was man derzeit auf den Opernbühnen der Festspiele sehen kann. Was wäre wohl aus Schuberts „Fierrabras“ geworden, hätte man einen kreativen (und hoch musikalischen) Ur-Komiker wie Damiano Michieletto drüber gelassen.
Da fällt also Alidoro als Genius (oder Amor persönlich) vom Himmel, direkt hinein in die heruntergewirtschaftete Selbstbedienungs-Kantine, wo die Cenerentola alias Cecilia Bartoli der sprichwörtliche Putzfetzen ist, das Mobbing-Opfer der beiden Schwestern und des versoffenen Stiefvaters. Schon während der Ouvertüre haben wir ja gesehen, wie die beiden Luder in die Registrierkasse greifen und die arme Cenerentola als vermeintliche Diebin dasteht. Da bleibt ihr wohl nur die Lektüre im Märchenbuch, das der wieselflinke weiß gewandete Alidoro mit seinen Zauberkräften quasi „nachinszeniert“.
Die Ahs und Ohs des Publikums sind gewiss, wenn sich das schäbige Buffet wie von Zauberhand bewegt auf offener Bühne ins glasfunkelnde „Palace“ verwandelt. Prinz Ramiro herrscht ja in der Lesart von Damiano Michieletto nicht in einem imaginären Schloss, sondern er ist der Chef in einem chilligen Nachtlokal, wo gut gekleidete Herren das Leben mit langbeinigen jungen Damen genießen. Don Magnifico macht mit seinen zickigen Vorzeigetöchtern dort keinen Stich…
La Bartoli: Sie lässt die Koloraturen blitzen wie die Schaumperlen vom Putzmittel, mit dem sie hantiert. Aber sie hat – und das ist das Einnehmende an diesem Aschenputtel – im nächsten Moment innige Töne parat, sie weiß sich hinein zu träumen in die vom Märchenprinzen zu Rettende, die dann noch großzügig der Mischpoche verzeiht, die ihr so übel mitgespielt hat. Bei allen kleineren und größeren Manierismen (die man im Zehn-Wochen-Abstand vielleicht stärker wahrnimmt als bei der Premiere) ist das eine einnehmend schlüssige, weil tiefenschichtige Rollengestaltung. Technisch bravourös, sowieso.
Zu Pfingsten waren alles noch frisch geprobt. Jetzt ist da und dort ein gewisser Schlendrian drin. Vor allem zu Beginn war der Kontakt zwischen Orchester und Bühne (vor allem zur Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor) problematisch. Aber nach wie vor gilt: Die Stärke dieser Aufführung ist das Ensemble. Nicht von grandiosen Einzelleistungen ist zu berichten, sondern von einer geschlossenen Gruppe aus stilkundigen, koloraturengeeichten Sängerinnen und Sängern, die uneitel die unglaublichsten Tonkaskaden und Fiorituren absondern und dabei ein sagenhaft lockeres Parlando drauf haben.
Nicolo Alaimo als Kammerdiener Dandini – er leibt und lebt wie weiland Pavarotti – hat die Lacher stets auf seiner Seite, so wie Enzo Capuano. Er ist ein Don Magnifico, der nach Kräften dem „Noblesse oblige“ huldigt, obwohl sein Hab und Gut und vor allem seine Selbsteinschätzung längst den Bach runter sind. Javier Camarena ist Don Ramiro, der sein Herzblatt sofort erkennt. Auch ihm purzelt der vokale Zierrat nur so aus der Kehle – aber wenn es ums hohe C geht, dann protzt er so richtig standfest mit seinem Material.
Ein Sängerinnen-Paar wie Lynette Tapia und Hilary Summers, der Diven-Verschnitt von Muckenstrunz und Bamschabl, muss man erst finden: sängerisch und optisch eine grandiose Bizarrerie. Ugo Guagliardo als Alidoro hatte vielleicht nicht seinen allerbesten Tag, was den Sitz der Stimme anlangt.
Über all dem G’spaß auf der Bühne bleibt immer Luft-Hoheit für die Musik. Auf die lohnt es sich nicht nur wegen der Koloraturen zu horchen. Dieser „Cenerentola“ liegt ja erstens quasi neu redigierter Urtext zugrunde und – zweitens – zeigen Jean-Christophe Spinosi und das Ensemble Matheus, was für klangliche Raffinessen in der Partitur stecken. Die Feinheiten der Holzbläser, das Charisma der Darmsaiten: Klangkultur und Esprit.