Die wilde Jagd und andere Ungeheuer
FESTSPIELE / KLANGFORUM WIEN / SYLVAIN CAMBRELING
05/08/14 „Will sound“ heißt eine Werkreihe von Wolfgang Rihm, in der er den musikalischen Fluss gleichsam aus sich heraus sprudeln lässt. „Will sound more“ (2005/11) war an dem Abend angesetzt. Es wird noch mehr tönen – da hat der Komponist nicht zu viel versprochen.
Von Reinhard Kriechbaum
Was ist das doch für eine satt dahin strömende Musik! Ein farbig differenziertes Kammerorchester (zwei Saxophone und ein Akkordeon eingeschlossen) ist bereit, dem Melos seinen schier ungebremsten Lauf zu lassen. Wenn sich dann alle so recht ausgetobt haben, folgt ein Mittelteil, der so wirkt, als ob die eben gewonnene Freiheit zu spontaner, lustvoller Klang-Exegese genutzt sein will. Bei allem „spielerischen“ Ur-Temperament kommt also das Raffinement in der Instrumentation keineswegs zu kurz. Damit passt „Will sound more“ gut zum Klangfarben-Schwerpunkt der Reihe „Salzburg contemporary“ heuer, auch wenn Wolfgang Rihm von einem ganz anderen Standpunkt, mit anderen ästhetischen Prämissen aufs musikalische Farbenspiel zugeht als sein französischer Kollege Dalbavie.
Ein weiteres Stück von Rihm: „Gejagte Form“ (1995/2002) ist eben das: ein umtriebiges, rhythmisch pulsierendes Vorwärtsstürmen, mit dem die zwei Geigen anheben, erst den Kontrabass und dann Bratsche und Cello mit sich reißend. Der Strudel erfasst das kleine Orchester. Auch da ein Mittelteil, in dem der Fokus wie in Zeitlupe (aber bei immer noch drängendem Metrum) aufs Detail gelegt wird: Die Turbulenz, wie im Vergrößerungsglas betrachtet.
Meistens kommen bei zeitgenössischer Musik die Ausführenden zu kurz – ihnen gilt weit weniger Augenmerk als den Werken. Am Montag (4.8.) in der Kollegienkirche durfte das nicht so sein: Das Klangforum Wien unter Sylvain Cambreling hat eine Ehrfurcht einflößende Brillanz eingebracht. Gerade in der nicht unheiklen Akustik der Kollegienkirche hatte man den Eindruck, unglaublich viele Einzelheiten und Feinheiten mitzubekommen. Leuchtkräftiges Filigran, aber auch virtuoser Zugriff an allen Ecken und Enden.
Zu einem weiteren Bravourstück, nun in der Kombination von akustischem Spiel und Live-Elektronik, wurde auch der erste Teil des Konzerts, Luigi Nonos dreiviertelstündiges Stück „Guai ai gelidi mostri“. Als die „kalten Ungeheuer“ hatte der Komponist den unpersönlichen Staat im Auge – aber wie es Nonos Art ist, kommen die verwendeten Texte nur in knappen Sentenzen, semantisch ge- und zerbrochen daher. Bratsche, Cello und Kontrabass auf der einen Seite, eine Handvoll Bläser auf der anderen, dazwischen die beiden Sängerinnen Susanne Otto und Noa Frenkel, deren Altstimmen elektronisch so herausgehoben werden, dass ihr Gesang gleichsam das instrumentale Geschehen überwölbt: Man kann diese Musik analytisch zu greifen versuchen, sich ihr aber auch einfach auf emotionaler Ebene ausliefern: Damit war man hier gar nicht schlecht beraten angesichts der über weite Strecken kristallinen Fein-Klänge, zur deren Zustandekommen die „Sounddesigner“ an den Knöpfen mindestens so viel beitrugen wie die von Sylvain Cambreling mit klarer Vorstellung angeführten Instrumentalisten des Klangforums Wien.