Der direkte Draht nach oben
FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / PHILIPPE JORDAN
03/08/14 Na, geht ja: Auch Bruckner-Dirigenten müssen nicht zwangsläufig Achtzig plus sein. Verglichen mit Bernard Haitink und Herbert Blomstaedt ist der Schweizer Philippe Jordan gerade halb so alt. Und macht echt gute Figur am Pult der Wiener Philharmoniker…
Von Reinhard Kriechbaum
Was das Wiener Orchester in diesen Tagen leistet, ist eigentlich sagenhaft: Exakt zwölf Stunden nach Ende der „Rosenkavalier“-Premiere saßen sie am Samstag (2.8.) um 11 Uhr Vormittag für Bruckners „Zweite“ und das „Te Deum“ schon wieder parat. Am Tag darauf dieselbe Matinee im Großen Festspielhaus nochmal und abends dann der live übertragene „Don Giovanni“.
Freilich, es gibt ausreichend erstklassige Alternativbesetzungen, vor allem an den exponierten Bläserpulten, aber doch: Mit welcher Ruhe das Orchester am Samstag die Kantilenen der „Zweiten“ hingekriegt hat, fordert allergrößten Respekt. Philippe Jordan hat die lyrischen Züge dieser Symphonie, in der das Orchester-Vokabular Bruckners dem Hörer erstmals quasi vollständig entgegen tritt, sehr konsequent herausarbeiten lassen. Und eine weitere Eigenart seines Musizierens ist das elegante Lineament. Da darf man durchaus auch mit den Augen hören und ihm einfach zuschauen beim vorbildlich klaren Orchesteranführen.
Die symphonische Architektur wird – technisch gesprochen - in übersichtlichen Plänen und 3D-Aufrissen verdeutlicht. Dass die im Konzertalltag eher selten zu hörende „Zweite“ noch nicht die urwüchsige musikantische Zugkraft der „Romantischen“ entwickelt ist klar. Und sie hat schon gar nicht die Kanten und Doppelbödigkeiten der „Achten“. Philippe Jordan hat, in gutem Schulterschluss mit dem für diesen Salzburger Bruckner-Zyklus bisher beispielhaft mitbeteiligt agierenden Orchester, gerade den direkten Ton gut herausgebracht. Sogar der ewig alte Bruckner war einmal jung…
Musikant Gottes war er sowieso. Oder sowieso nicht – je nach Standpunkt des jeweiligen Programmtext-Schreibers (im Fall Walter Weidringers ganz und gar nicht). Trotzdem das „Te Deum“. Einmal durchatmen vor dem großen Gotteslob wäre keine schlechte Idee gewesen. Vielleicht hätte man doch eine Pause machen sollen nach der Symphonie, auch wenn sie das Mittagessen ein wenig hinausgezögert hätte. So ist die eine Hälfte des Publikums irrtümlich nach draußen aufgebrochen, und der Intendant eilte auf die Bühne, um zurück zu rudern. Ziemlich genau mit dem Orchester-/Choreinsatz haben dann die letzten Leute ihre Plätze gerade noch erhascht.
Von diesem „Te Deum“ ist zu sagen: laut nach Noten. Sehr laut. Mächtig hat sich die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor hinaufgeschraubt bis zum hohen „d“ der Soprane, eher trocken und glasklar im Ton auch in den Männerstimmen. Das widerspricht schon ein wenig dem eher breiten Forte der bayerisch-österreichischen Devotions-Haltung und wurde von Philippe Jordan auch in der Orchesterbegleitung eher in Richtung zackig und direkt verstärkt. In sich war das durchaus konsequent, bis zum abschließenden „In te Domine speravi“ des Solistenquartetts, das beinah marschmäßig angelegt wirkte. In Philippe Jordans Heimat, dem Land des Calvinismus, setzt man wohl auf drahtlose, direkte Kommunikation mit dem himmlischen Adressaten.
Prachtvoll unverkrampft im Solistenquartett der junge slowakische Tenor Pavol Breslik. Gut amalgamierend die leuchtkräftige Olga Peretyatko (Sopran) und die sehr bewusst akustisch quasi in der zweiten Reihe verbleibende Sophie Rennert. Tobias Kehrer (Bass) hätte seinen einzigen Soloeinsatz („Et benedic“) doch ein wenig zurückhaltender anlegen dürfen.