Als Robinson Crusoe mit Bruckner auf der Insel
FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / HERBERT BLOMSTEDT
28/07/14 Allein ist so einer wie er nicht nur wegen seines Alters: Knackige Siebenundachtzig – und schon bei den Festspielen! Nein, schon wieder. So ungefähr alle zwei Jahrzehnte lädt man Herbert Blomstedt eh nach Salzburg ein. Aber am Pult der Wiener Philharmoniker ist erhier wirklich zum ersten Mal.
Von Reinhard Kriechbaum
1976 war er mit der Staatskapelle Dresden da, 1990 mit dem San Francisco Symphony Orchestra, und dann gleich wieder 2010, mit dem Gustav Mahler Jugendorchester. Am Samstag (26.7.) hätte es ja eigentlich Riccardo Chailly sein sollen, aber der läuft gerade mit Gipsarm herum.
Während Bruckners „Achter“ hat man ausreichend Gelegenheit, über die Gerechtigkeit des Musiker-Ruhms nachzudenken. Einfach toll Musik zu machen, so wie es Blomstedt tut, ist leider nicht genug. Blomsdtedt war eigentlich immer ganz vorne, etwa Chef der Dresdner Staatskapelle und dann Gewandhaus-Kapellmeister. Aber bei den Wiener Philharmonikern kam er erstmals als Vierundachtzigjähriger zum Zug. Der Zug des Musik-Business ist in den Wirtschaftswunderjahren ohne ihn losgefahren.
Vielleicht war das auch ein Glück für ihn und für das, was er dirigiert. Im Interview mit der „Wiener Zeitung“ hat Herbert Blomstedt dieser Tage von Musizieren als einer Tätigkeit auf einer „Insel der Seligen“ gesprochen. Fast schon denkt man an Robinson Crusoe, wenn man ihn, wie jetzt in Salzburg, mit der „Achten“ erlebt. Er braucht nicht Mal einen Freitag, um sich sein unterdessen singuläres Dasein bestätigen zu lassen. Wahrscheinlich hat er auf seine Insel deshalb auch nie jemanden mitgenommen, schon gar nicht Mitreisende von der Tonträger-Industrie (die unterdessen selbst schiffbrüchig auf wenig tragfähigen Rettungsbooten ihre Haut retten).
So blieb also für Herbert Blomstedt die Insel eine selige, und an der Unversehrtheit dieses umbrandeten Biotops kann man – über Strecken wie der Beobachter eines „Universum“-Films – im Großen Festspielhaus teilhaben. Unversehrtheit heißt nicht Eitel-Wonne-und-Sonnenschein. Wie Blomstedt den ersten Satz am Ende nach dem hymnischen Blechgipfel unversehens in Depression versinken lässt, sucht seinesgleichen. Ganz erstaunlich, wie er dann im Scherzo loslegt, nicht malmend klingt das Blech, sondern so gelockert im Klang, dass sich wie selbstverständlich das Holz und die Bläser in Folge wie heitere Schattenspiele auf dem sagenhaft dicken historistischen Gemäuer ausnehmen. Diese Auflichtungen sind vielleicht eine der Spezialitäten in der Bruckner-Sicht von Blomstedt: Davon lebt der Finalsatz, so widersprüchlich und schroff die Stimmungslagen auch sein mögen, die da ein letztes Mal aufeinanderprallen: So wie gleich zu Beginn nach den Fanfaren die Ersten Geigen das Lichte mit ihrem hartnäckig wiederholten Ein-Ton-Motiv begleiten – genau so lässt Herbert Blomstedt den Herzschlag nicht stocken, bleibt er im gar nicht so langsamen Puls. Das heißt dann also Impuls, wo immer nötig. Das ist bei diesem alten Herrn, der die Massen so ökonomisch zu lenken versteht, nicht Trickserei, sondern es kommt aus der Intimkenntnis möglicher Spannungsverläufe. So querständig dieser Finalsatz daherkommen mag, unter Blomstedts Händen löst sich alles ganz wunderbar.
Auffallend, wie anders die Wiener Philharmoniker unter ihm (inter)agieren als vor wenigen Tagen unter Barenboim in der „Vierten“. Dort war es ein beständiges Geben und Nehmen, ein deutlich höherer Grad an Selbstverantwortung. Von Blomstedt lässt sich das Orchester eher führen, vertraut sich ihm an.
Das Ergebnis ist ein kompaktes Klangbild. Aber das heißt beileibe nicht undifferenziert. Der singuläre langsame Satz: wie vereist oder wie Marmor wirken die ersten, fast vibratolosen Streichertakte am Beginn. Das Adagio als ein einziger Prozess des Sich-Lösens. Zum Stein- und Herzerweichen die Episode, in der Erste Geigen und Violoncelli dialogisieren, im duftigsten Pizzicato der Kollegen und alsbald umgarnt von den Bläsern in feinster Nuancierung.