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Die Haare der Buhlschaft sind „völlig egal“

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13/07/21 Wenn Lars Eidinger in diesem Sommer den Domplatz als Jedermann betritt, sieht er sich nicht als der sterbende reiche Mann, wie ihn der Untertitel des Stücks ankündigt. Er tritt vielmehr auf als Allegorie der heutigen Gesellschaft. „Ich bin der privilegierte, toxische Mann und stelle mich selbst in Frage“, so der Schauspieler. Das Stück stehe einem Shakespeare in nichts nach und werde oft falsch verstanden. „Zu Unrecht!“

Von Anne Zeuner

Sein Leben lang habe er es sich erträumt, einmal den Jedermann zu geben, sagt Lars Eidinger. Er fühle sich „dermaßen privilegiert und glücklich“. Viel Spaß am Proben und Spielen bedeute für ihn auch viel Kapazität zu haben und es nicht als Anstrengung zu empfinden.

Dass er in dieser Produktion auf Augenhöhe mit Angela Winkler und Edith Clever spielen darf, sei keine Selbstverständlichkeit für ihn. „Manchmal denke ich, das kann gar nicht wahr sein“, sagt Lars Eidinger. Im Sommer in Salzburg zu arbeiten, das war für Angela Winkler eigentlich keine Option. Doch dann kam das Angebot für die Rolle von Jedermanns Mutter. „Als ich gehört habe, dass Lars Eidinger meinen Sohn spielt und auch Edith Clever im Ensemble ist, habe ich zugesagt“, sagt die Schauspielerin. Das Ensemble bezeichnet sie als „Familie“. Die erste Probe am Domplatz habe sie als unheimliche Freiheit empfunden. „Ich habe sehr meine Naturliebe gespürt, ich konnte den Himmel sehen, habe Vögel und die Glocken gehört und das als sehr sinnlich wahrgenommen.“

Schauspiel-Leiterin Bettina Hering betont, welch großer Moment es für sie gewesen sei, Edith Clever als Tod zu gewinnen. „In den vergangenen vier Jahren hat Edith Clever als Jedermanns Mutter Maßstäbe mit ihrer Sprache und Genauigkeit der Vorbereitung und Interpretation, gesetzt“, schwärmt sie.

Bei der ersten Probe am Domplatz habe sie als Tod noch zu wenig Boden unter den Füßen gespürt, so Edith Clever. Sie beschäftige sich in der Vorbereitung viel mit dem Bühnenraum und in dieser ersten Probe reichte das Spektrum von taghell und geblendet bis zur Dunkelheit. Die Art des Auftritts sei für sie auch ein wichtiges Thema: „Der Tod kommt plötzlich und ist da. Man will ihm vielleicht entkommen, aber am Ende muss man einen Weg finden, mit ihm umzugehen“, sinniert die Schauspielerin. „In meinem Alter habe ich mich natürlich schon viel mit dem Thema beschäftigt, aber man lernt nie das Geheimnis zu ergründen.“

Vor Kurzem hat sich Verena Altenberger für die Filmrolle einer Krebskranken eine Glatze rasiert. Nein, das Stichwort „Haare“ nerve sie nicht, sagt die neue Buhlschaft spielt. „Ich mag die Debatte“, sagt sie. „Denn es ist einfach völlig egal, wie die Haare der Darstellerin der Buhlschaft aussehen.“ Das Kleid der Buhlschaft wohl in Wirklichkeit auch, aber davon berichten wir morgen.

Bei der ersten Probe am Domplatz habe sich die Salzburgerin zuerst einmal in die letzte Reihe gesetzt und das Geschehen beobachtet. „Dann habe ich mich aber sehr schnell sehr wohl gefühlt auf der Bühne.“ Die Buhlschaft habe sie nie als Klischee-Frau empfunden, das Emanzipatorische sei der Rolle eingeschrieben. Ihr erster Instinkt sei gewesen, das Leid dieser Frau darstellen zu wollen, die Abhängigkeit vom Jedermann zu zeigen und sie aus den Fesseln zu befreien. Etwa ab dem vierten Tag der Proben habe sich dieses Bild allerdings gewandelt. „Das war eine unnötige Suche, denn die beiden sind ein gleichberechtigtes Paar im Moment, in dem sie zusammen auf der Bühne stehen.“ Sie sei mittlerweile überzeugt, dass das Paar sich liebe. Ob sie ein Traumpaar seien? – Jedermann-Darsteller Lars Eidinger formuliert es eher als „Abrechnung mit dem Traumpaar und mit der Romantik..“ Es gehe nicht um Versprechungen für die Zukunft, sondern um ganz reale Versprechungen im Hier und Jetzt.

2017 inszenierte Michael Sturminger zum ersten Mal den Jedermann auf dem Domplatz. War seine Regie am Anfang stark auf das Hier und Jetzt bezogen, so verlegt er sie in diesem Jahr in eine nicht genau beschreibbare Zukunft mit Referenzen zur Vergangenheit. Aus der Wiederaufnahme, so sagt Bettina Hering, sei nun eine Neuinszenierung geworden. Die Idee, beim Jedermann etwas abzuschließen, sei für den Regisseur irrelevant. Man müsse das Stück frisch halten, auf Neubesetzungen eingehen, es sei ein permanenter Work in Progress. Die Bühne spiegelt diesen Gedanken und zugleich erinnere der Holzaufbau an die erste Bühne von Max Reinhardt.

Der Teufel wird mit Mavie Hörbiger weiblich besetzt. „Das bedeutet mir insofern etwas, dass ich mir wünsche, dass es danach unerheblich ist, ob eine Schauspielerin oder ein Schauspieler die Rolle übernehmen“, sagt sie. Es sei eine Komiker- und gleichzeitig eine tragische Rolle, denn der Teufel hat bereits mit seinem Auftritt verloren, in dem ihm der Weg verwehrt wird.

Auch der Glaube ist in diesem Jahr weiblich besetzt mit Kathleen Morgeneyer. „Nach dem zu suchen, was uns begleitet, was aber ungern ausgesprochen wird, das ist meine Aufgabe als Glaube“, sagt sie. Ohne Transzendenz sei es schwer für den Menschen zu existieren. „Ich glaube nicht, dass es ohne geht. Denn allein, dass wir alle geboren wurden, ist ein Wunder.“ Ob es einen wirklichen Kampf zwischen Glaube und Teufel geben werde, könne sie noch nicht verraten. „Für mich existiert zwischen den beiden eher eine große, fast erotische Anziehung“, sagt die Schauspielerin.

Gustav Peter Wöhler und Tino Hillebrand sind bereits im vergangenen Jahr als Dicker und Dünner Vetter aufgetreten. „Uns gibt es nur zu zweit“, sagt Tino Hillebrand. Doch, was die beiden auf der Bühne zeigen, sei in diesem Jahr etwas völlig Anderes als in den vergangenen Jahren. „Es macht Spaß, komisch zu sein“, sagt Gustav Peter Wöhler. Er erzwinge die Komik allerdings nie, sondern sie entstehe bei ihm oft einfach.

Anton Spieker übernimmt die Rolles als Jedermanns Guter Gesell. Er empfinde Lars Eidinger als Gesamtkunstwerk und tollen Kollegen, mit dem er sehr sensibel spielen könne. Jörg Ratjen, der den Armen Nachbar spielt, habe erst im Probenprozess gemerkt, wie gut er das Stück wirklich finde. Er verriet, dass er in einer Art Gruppenkörper auf der Bühne zu sehen sein wird.

Mirco Kreibich wird in einer neu geschaffenen Doppelrolle als Schuldknecht und Mammon agieren und findet in der Kombination durchaus Verbindungen. „Jedermann verwehrt dem Schuldknecht den Schuldschein und klammert sich später am Mammon fest, um nicht allein in den Tod gehen zu müssen“, sagt er. An seiner Seite spielt Anna Rieser Des Schuldknechts Weib. Sie habe sich schon in ihrer Kindheit gewünscht, einmal live am Domplatz spielen zu können. Dieser Wunsch erfüllt sich nun.

Und wie geht man am Ende aus dem Stück heraus? „Es geht um die Frage ‚Wer bin ich‘“, sagt Jedermann-Darsteller Lars Eidinger. Es habe etwas Tröstliches, am Ende bei sich selbst anzukommen und sich mit allen Fehlbarkeiten zu erkennen. „Darin liegt totale Schönheit.“

Bilder: Foto: SF/Anne Zeuner

 

 

 

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