Hamlet ist kein Mörder
SCHAUSPIELHAUS / HAMLET
02/05/14 Der Bruder- und Königsmörder kniet in der Kapelle, ringt mit sich selbst und seinem Gewissen. Warum hat Hamlet seinen Onkel Claudius bei der Gelegenheit nicht einfach erstochen? Diese Frage beschäftigt Anglisten, Regisseure und Psychologen seit Jahrhunderten. Vielleicht, weil Hamlet eigentlich kein Mörder war?
Von Heidemarie Klabacher
Leichen sät er ja genug, der Prinz von Dänemark. Den armen alten Plonius, den g’schaftigen Oberkämmerer, der hinter dem Vorhang Hamlets Unterredung mit der Mutter belauscht, ersticht er versehentlich. Der nervöse, psychisch angespannte und angeschlagene Held hört ein Geräusch und schlägt zu.
Die Jugendfreunde Rosenkranz und Güldenstern, die sich als Spione und Verräter von Claudius haben dingen lassen, schickt Hamlet relativ „locker“ in den Tod, diesen Streich führt er freilich nicht persönlich. Warum Hamlet gar so grausam zu Ophelia ist, ist eigentlich das größte Rätsel in Hamlets Betragen. Ophelias psychischer und physischer Untergang gehen jedenfalls auf sein Konto. Seine Mutter Königin Gertrud trinkt dagegen Gift, das ihr Ex-Schwager und jetziger Ehemann Claudius eigentlich für Hamlet bereitgestellt hat. Da kann der Prinz wirklich nichts dafür.
Seinen Freund, Ophelias Bruder Laertes ersticht er im Finale in jenem gefoulten Kampf mit vergiftetem Degen, in dem Hamlet schließlich selber die tödliche Wund davon trägt. Und jetzt erst, in letzter Lebenssekunde, verraten von allen Seiten, ersticht Hamlet endlich den Mörder seines Vaters. (Dass dieser im Gebet in der Kapelle völlig vergblich versucht hat, Reue zu empfinden, ist eine der großen ironischen Gemeinheiten Shakespeares.) Einmal in Fahrt gekommen, geht Hamlet durchaus über Leichen, betritt den blutigen Weg aber nur widerwillig. Hat Hamlet Claudius in der Kapelle einfach deswegen nicht erstochen, weil er eben kein Mörder ist?
Diese simple Antwort drängt sich nach der Hamlet-Aufführung im Schauspielhaus Salzburg als eine beinahe selbstverständliche Lösung des Jahrhunderträtsels auf. Der natürliche und unaufgeregte, der manchmal ein wenig naive, zugleich auch wieder überaus scharfsinnige Hamlet, den Simon Ahlborn in der Titelrolle zeichnet, ist tatsächlich kein Mörder. Ein Getriebener, ja. Aber kein Mörder.
Er ist auch kein grausamer Mensch, dem es ein Vergnügen machen würde, die unschuldige Geliebte mit Zynismus in den Tod zu treiben: Die Begegnung mit Ophelia – „Geh in ein Kloster“ – gehört tatsächlich zu den am wenigsten überzeugenden Szenen in der insgesamt gelungenen, darstellerisch soliden Produktion. Mit viel Witz gibt dieser Hamlet dagegen den Narren, liefert die berühmte Zitatensammlung mit Understatement wie beiläufig ab. Beinahe eine Art „Hamlet von nebenan“ geht hier zu Grunde.
Es wird in allen Rollen hervorragend gesprochen, an der Sprechtechnik wurde viel gefeilt, alle Beteiligten bringen die scheinbar ferne Sprache ganz natürlich ins Heute. Das Tempo, das Regisseurin Susi Weber vorgezählt hat passt, könnte aber da und dort - etwa in den Palavern des Königspaares mit Polonius - ein wenig angezogen werden.
Georg Reiter ist ein nachdenklicher beinahe widerwillig skrupelloser Claudius. Ulrike Arp als Königin Gertrud ist nicht ganz von dieser Welt und wirkt doch beinahe bedrohlicher in ihrer Zurückhaltung als Claudius. Olaf Salzer gibt den Polonius als geschwätzigen Alten. Albert Friedl zeigt als Hamlets Freund Horatio untadelige Haltung. Nenad Subat und Magnus Pflüger überzeugen in der Totengräber-Farce viel stärker, denn als Rosenkranz und Güldenstern. Die Schulfreunde Hamlets bleiben eher farblos. Einen unterhaltsamen Auftritt legt Thomas Pfertner als Laertes hin, wenn er seiner Schwester Ophelia einen Katalog tugendhaften Verhaltens herunterbetet – ganz wie der Vater, über dessen Ergüsse er selber die Augen verdreht. Theo Helm spielt eindrücklich alle kleinen Rollen, gibt den Geist, den Schauspieler und den Fortinbras - ein merkwürdig holzschnittartiger und dennoch überaus beeindruckender Prinz von Norwegen.
Katharina Pizzera ist die Ophelia der Produktion. Eine Ophelia, wie man sie sich überhaupt nicht vorstellt – nicht ätherisch, nicht in weißem Gewande Blumen streuend. Sie trägt Kettenhemd wie alle die Burschen auch (Ausstattung Isabel Graf) und ist im Verhalten beinah ein Mädchen von nebenan. Ihre Wahnsinnsszene ist bewegend. – Eine gelungene Klassikerproduktion, die mit dem kostbaren Sprachmaterial respektvoll, klug und gekonnt umgeht.