Von null auf sechshundertfünfundsechzig
RESIDENZGALERIE / VON 0 AUF 100
07/07/23 Bitte nicht täuschen lassen vom Plakatmotiv: Die leeren Goldrahmen stehen zwar für Null. Aber mit Null Bildern, sprich ohne eigene Bestände, stand die 1923 gegründete Residenzgalerie Salzburg nur in den ersten Jahren da. Ihr Bestand heute, hundert Jahre später: 338 Gemälde, 98 Graphiken, 25 Skulpturen.
Von Reinhard Kriechbaum
Die letzte Neuerwerbung kam 2020 dazu, Kaufleute am Hafen (1724), ein kleinformatiges Gemälde von Franz de Paula Ferg. Es trägt die Katalognummer 665. Das ist deutlich mehr als 338+98+25. Kurzer Anruf bei der Direktorin Astrid Ducke über den Verbleib von 204 Exponaten? Leicht zu erklären: Im Lauf der hundert Jahre sammelte man ja vieles – und vor allem bei jener „Flurbegradigung“, in deren Verlauf Kunst des 20. Jahrhundert von der Residenzgalerie ins Museum der Moderne übertragen wurde, ergaben sich folglich Blindstellen im eigenen Katalog.
Damit genug der Erbsenzählerei. In der Schau Von 0 auf 100 zum Jubiläum der Residenzgalerie begegnet man so gut wie allen Lieblingsbildern und noch manchem mehr.
Da hängt beispielweise gleich am Beginn des Rundgangs neben Makarts Bildnis seiner ersten Frau Amalie das Käppi eines Museumswächters der Stunde null mit der Aufschrift Residenzgalerie – die Kopfbedeckung gibt es noch, die Modefirma Gollhofer seit 2019 nicht mehr. Die Jubiläumsschau ist vorbildlich schön präsentiert und lockt mit manchem Schau-Reiz.
Da ist zum Beispiel die Miniatur Dorflandschaft vom Figuren und Kühen von Jan Brueghel dem Älteren. Der frühere Besitzer, Graf Czernin, hat sie mit einen üppig beschnitzten Goldrahmen gefasst, die Museumsleute in der Residenzgalerie entschieden sich für einen Rahmen aus glattem, sehr dunklen Holz. Anhand einer Replik kann man beide Varianten auf die Bildwirkung hin überprüfen.
Anschaulich gemacht ist auch das Schicksal eines Madonnenbilds, ein Gemälde für einen Altar wohl, das später zu groß dünkte. Man hat es auf ein übliches Museumsbild-Format zurechtgeschnitten. Glücklicherweise ist auch der untere Rand erhalten geblieben. Beide Teile sind jetzt wieder zusammengeführt, es fehlet nur ein knapp fünfzehn Zentimeter hoher Streifen.
Was einen Laien vielleicht wundert: Bilder sind keineswegs aus dem Schneider, wenn sie erst einmal in Museums-Obhut gelandet sind. Eines der populärsten Stücke der Residenzgalerie sind Ferdinand Waldmüllers Kinder im Fenster (1853). Irgendwann hat ein wohlmeinender Restaurator Hand angelegt. Das Gesicht der Mutter im Hintergrund erschien ihm gar zu unterbelichtet. Er hat es aufgehellt und der Dame, die ursprünglich die Augen geschlossen hielt, bei dieser Gelegenheit die Augen geöffnet.
Das Bild wurde jüngst mit mit Röntgenstrahlen untersucht und so restauriert, wie es (hoffentlich!) dem Originalzustand nahe kommt. Restaurierung ist immer auch geschmacks- und zeitgebunden, so genau weiß man's also nicht, ob unser Werkverständnis das letztgültige ist. A propos Geschmackssache: Ein Bild-Gustostück in den Beständen ist Paulus Potters Viehtrieb am Morgen (1647). Dem Grafen Czernin war dieses Bild im Format ungefähr zwischen DIN A4 und A3 stolze 21.000 Gulden wert. Ein Kunst-Hypeanno 1813? Jedenfalls hat diese vermeintliche Geldverschwendung dem alten Herrn innerfamiliäre Kritik eingetragen.
210 Jahre später betrachtet: Der gräfliche Sammler hat schon wirklich gut investiert. Um das Besondere an diesem Bild zu erkennen, sollte man weniger auf den blanken Busen der Bauersfrau schauen, sondern sich aufs Raffinement der Lichtführung einlassen. Wo viel Licht ist, sind auch viele Kühe im Schatten und im Halbschatten, und das ist handwerklich stupend griffig getroffen.
Über Jahre und Jahrzehnte war es Ausstellungs-Strategie der Residenzgalerie, die immer noch überschaubaren Bestände immer wieder nach neuen Gesichtspunkten und Motiven zu durchforsten. Das konnten Blumen sein, Musikinstrumente und natürlich Bildinhalte. So kennt man als regelmäßiger Ausstellungsbesucher ja fast alles, aber jede Neuaufstellung birgt die Chance, dass man Neues entdeckt. In Kaspar Membergers Arche Noah-Zyklus ist mir zum Beispiel das Federvieh zu Füßen des Herrn, der fleißig Bretter fürs Schiff zurechtsägt, noch nie aufgefallen. Im ungewissen Halbdunkel scheint sich der Hahn über die Henne herzumachen. Wenn die Arche Noah in See sticht, werden möglicherweise mehr als zwei Hühner an Bord sein – und jedenfalls ist für Eier vorgesorgt.
„Von 0 auf 100“ – bis 13. Mai 2024 in der Residenzgalerie DomQuartier – www.domquartier.at
Bilder: dpk-krie
Zur Hintergrund-Geschichte
Am Anfang ein Museum mit rein gar nichts