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Weihnachten und roter Ballon in den Lüften

BUCHBESPRECHUNG / JASBAR / VIERUNDZWANZIGSTER DEZEMBER

24/12/24 Wer genug hat vom Kitsch um Weihnachten, den überzogenen Erwartungen an den Heiligen Abend und der Konsumhektik der so besinnlichen Adventzeit, dem sei Helmut Jasbars Kurzroman Vierundzwanzigster Dezember ans Herz gelegt. Hier darf Weihnachten anders sein, unverhüllt, manchmal traurig und ohne symbolische Überfrachtung. Hier darf es so sein, wie es ist.

Von Christina König

Ein vermeintlicher Anschlag, eine verschluckte Gräte, ein arroganter Anwalt mit einem Geheimnis rund um einen tödlichen Unfall – und das alles vor einer verschneiten Wiener Kulisse. Helmut Jasbar schreibt mit seinem Kurzroman Vierundzwanzigster Dezember über ein Weihnachten abseits von Krippen, Lebkuchen und roten Christbaumkugeln.

Im Zentrum des Romans steht – eigentlich niemand. Stattdessen stellt uns Jasbar eine Gruppe völlig unterschiedlicher Menschen vor und lädt uns ein, sie an diesem vierundzwanzigsten Dezember zu begleiten.

Da ist zum Beispiel Dr. Fiedler, der nach dem Tod seiner Frau an Taedium vitae leidet, gemächlich zusieht, wie sein Arbeitslaptop von einem Gewitter zerstört wird, und von Panikattacken heimgesucht wird. Da ist Sam, die queere Tänzerin mit dem grün gefärbten Undercut, die ihr Landei-Leben hinter sich lässt und die Mutter ihrer Freundin kennenlernt, die noch ihren dead name verwendet. Da ist Tariq, der Wachmann der französischen Botschaft mit verdrängtem Missbrauch in der Vergangenheit, der auf einen heranrasenden Motorradfahrer schießt, in dem er einen Attentäter vermutet, und da ist Said, jener vermeintliche Attentäter, der eigentlich nur als Kurier Dokumente überbringen wollte, aber sich endlich gesehen fühlt.

Diese Menschen verbindet Jasbar subtil miteinander – manche Beziehungen sind gleich sichtbar, wie die der Anwälte, die gemeinsam in einer Kanzlei arbeiten, andere eröffnen sich erst nach und nach oder werden im Verlauf der Geschichte geknüpft. Hier scheint schon etwas genuin Weihnachtliches durch, das sich durch den Roman zieht: die Verbundenheit zwischen Menschen, so zart sie auch sein mag. Und das ist nicht das einzige Element, das Jasbars Buch zu einer modernen Weihnachtsgeschichte macht. Aber der Reihe nach.

Was Jasbar besonders schön gelingt, ist eine indirekte, aber sehr klare Charakterisierung seiner Personen. An sich hat er dafür nicht viel Platz – der Roman hat nur etwas mehr als hundert Seiten, die Kapitel sind kurz und prägnant, seine Sätze scheinbar schlicht. Dennoch findet er elegante Möglichkeiten, die Sichtweisen seiner Charaktere zu zeigen. Da ist zum einen die Art, wie er sich ihr Vokabular, ihre Denkweise aneignet, egal, ob es um trockenes Juristendeutsch geht („Aufgrund eines Bescheides vom 17.10 dieses Jahres (Geschäftszahl BZ 401 31 76) …“) oder um Sams Beziehungen zu einer Tänzer:in, die nun als Mann gelesen werden möchte („fucking Jamie“): Jasbar trifft immer den richtigen Ton.

Zum anderen präsentiert er sie anhand ihrer Gedanken zu einem roten Luftballon, den einige von ihnen im Himmel sehen: Der lebensunlustige Fiedler sieht darin ein „ironisches Zeichen“, der nostalgische Seniorpartner der Kanzlei hält inne und lächelt den Ballon an, während der ehrgeizige Anwalt Scherf ihn beobachtet und sich denkt: „Der gute Moretti wird langsam senil.“ Ein Kind jauchzt vor Freude beim Anblick des Luftballons, die Assistentin Margarethe erfasst eine „kindliche Sorge um sein Wohlergehen“ und sieht im Bann des Ballons ihre verstorbene Oma. Beeindruckend, wie es Jasbar gelingt, mit so wenigen Worten aus einem so kleinen Symbol etwas so Bedeutsames zu machen.

Ebenso geschickt verwandelt er das verschneite Wien zum Spiegel der Innenwelt seiner Charaktere. Wenn Fiedler durch Wien geht, sieht er seine eigene Depression: „Alles war grau: Fenster, Stein, sogar das Abendlicht, graue, verschlossene Gesichter, unbeteiligte, apathische, erloschene Menschen, die keine Blicke erwiderten.“ Für die junge Sam wiederum ist Wien der Ort, an dem sie sein kann, wer sie möchte, ohne ganz genau zu wissen, wer das ist. Sie ist rastlos, verirrt sich gern, sieht in den Nobelboutiquen, Skateboard-Parcours, nicht mehr existierenden Tischlereien und einander widersprechenden Verkehrszeichen überall Versprechen.

Überhaupt spielt Wien eine große Rolle in diesem Roman – wenn es eine eindeutige Protagonistin gäbe, wäre es wohl die Hauptstadt. Alle Wienliebhaber und -liebhaberinnen werden besonders gern mit Jasbars Charakteren durch die verschneiten Straßen streifen.Begleiter auf diesem Weg sind verborgene Gefühle: Einsamkeit, Reue, Schuld, Scham, Verletzlichkeit. Alle haben ihr Päckchen zu tragen, niemand kommt ungeschoren davon. Trotzdem ist es kein düsterer Roman. Auch ein bisschen Hoffnung schwingt manchmal fast trotzig mit, in Worte gefasst von einer etwas schrägen Taxifahrerin ohne Führerschein, die aus Israel hierher geflüchtet ist: „Auch wenn man erkaltet ist – es muss immer etwas glimmen, sonst erfriert man.“ Das könnte das Motto des Romans sein, denn egal wie kalt es wird, ein bisschen Trost, ein bisschen Hilfe ist immer da, hin und wieder sogar die eine oder andere frohe Überraschung. Und genau das macht Vierundzwanzigster Dezember zu einem echten Weihnachtsbuch.

Helmut Jasbar: Vierundzwanzigster Dezember. Kurzroman. Mürz Salzmann Verlag, Salzburg, 2024. 112 Seiten, 19 Euro – www.muerysalzmann.com

 

 

 

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