Meinungsfreiheit – auch wenn die Meinung nicht gefällt
KULTURFORUM ODEION / FREMD IN DER FREMDE
20/02/12 Menschen muslimischen Glaubens und die Ansichten der westlichen Welt über dem Islam standen im Zentrum Theaterfestivals „Fremd in der Fremde“ im Odeion. Vier Produktionen internationaler Ensembles standen auf dem Programm, die Themen reichten von rechter Gewalt und Xenophobie bis hin zum islamischen Fundamentalismus.
Von Ana Bilandzija
Das Russische Nationaltheater Kiew gab mit den beiden Dramen „Nordost“ und „Schwarze Jungfrauen“ am Freitag (17.2.) - in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln - ein Gastspiel im Odeion, bei denen die Frauen den zentralen Part darstellten - mit nüchterner Intensität.
Thorsten Buchsteiners„Nordost“ thematisiert die Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater im Jahr 2002. Hier erzählen drei Frauen, die jenen Tag unterschiedlich erlebten, ihre Geschichte: eine „Schwarze Witwe“, die Teil der radikalen Truppe ist, eine Besucherin des Musicals, die mit ihrer Familie das Theater besucht und eine Ärztin, die mit dem Notfallwagen an den Ort des Geschehens fährt.
Das abstrahierte Bühnenbild, die wechselnden Erzählstimmen und deren Überschneidungen, der Wechsel der Emotionen – all diese Faktoren ergeben ein Werk, das einerseits sachlich die Geiselnahme aus unterschiedlichen Perspektiven beschreibt, andererseits subtil Gefühl und nackte Menschlichkeit einspannt. Somit werden die damaligen Ereignisse weder künstlich dramatisiert noch verharmlost dargestellt. Eine zunächst gefährlich wirkende Gratwanderung zwischen zwei Polen, die jedoch außergewöhnlich überwunden und gemeistert wurde. Besonders die persönlichen Beweggründe „Schwarzen Witwen“, von denen viele ihre Familien durch den Tschetschenienkrieg verloren haben, bildeten einen hochinteressanten Aspekt des Stücks, das nicht den Fehler macht, sich nicht auch über Hintergründe und Auslöser Gedanken zu machen.
Das zweite Drama des Abends - „Schwarze Jungfrauen“ von Günter Senkel und Feridun Zaimoglu - lässt „Neomusliminnen“ in den Vordergrund treten, die monologartig ihre Anschauungen zu ihrem eigenen Glauben, aber auch zu anderen Religionen, Werten und Lebensweisen vorstellen. Grundlage sind Interviews, die mit Musliminnen geführt wurden. Die radikale Leidenschaft und emotionsgeladene Spannung ihrer Worte werden spürbar inszeniert und umgesetzt. Es wird schlicht und einfach erzählt – sei es von der Verehrung Bin Ladens oder sei es vom Traum der islamischen Revolution im Westen. Auch der Konflikt Sexualität und Glaube wird thematisiert.
Gleichzeitig zerbricht während des Zuhörens die stark verankerte Vorstellung vieler Menschen, verschleierte Frauen seien Unterdrückte und Unterworfene. Im Gegenteil: Diese Frauen beweisen enormen Willen und Stärke, auch wenn der Zusammenhang ein ganz anderer ist. Es werden Inhalte angesprochen, die häufig verzerrt und subjektiv dargestellt werden. Hier kommen tatsächlich Frauen zu Wort, die selbstbewusst auf zwei Beinen stehen und ihr idealistisches Weltbild verbreitet sehen möchten.
Dass das Stück immer wieder für Aufsehen sorgt, ist nicht verwunderlich – sehr radikale und teils menschenverachtende Worte können besonders in der Kunst selten unhinterfragt vorüberziehen. Trotzdem ist es beachtlich, jenen eine Stimme zu geben, die persönlich diese Ideologie vertreten. - Vor allem ist es für Zuseherinnen und Zuseher eine bemerkenswerte Erfahrung. Bei dermaßen empfindlich gewordenen Themen wie Terrorismus oder Islam ist es immer schwierig, ein passendes Sprachrohr zu finden, um weder zu beleidigen noch herunterzuspielen. Umso mehr ist die Kunst, in dem Fall das Theater, das Mittel, um unterschiedlichste Ideale und Weltbilder zu zeigen, ohne eine Wertung abzugeben. Insofern ist „Fremd in der Fremde“ ein hochaktuelles Projekt, das Platz für viele Meinungen und Diskussionen schenkt.