Beschwörung Altösterreichs
REST DER WELT / BAD ISCHL / DIE KAISERIN
18/08/14 „Ein heiteres Spiel aus dem Rokoko“ nannte Leo Fall seine Operette „Die Kaiserin“. Was da im Kriegsjahr 1915 in Berlin auf die Bühne kam, ist zweifellos heiter – und doch ein Stück, in dem sich die Zeit spiegelt.
Von Gottfried Franz Kasparek
Dies und die musikalische Qualität rechtfertigen die erfolgreiche Wiederbelebung, die während der traditionellen Festtage rund um Kaiser Franz Josephs Geburtstag beim Lehár Festival Bad Ischl stattfand.
Es geht nicht um Sisi, sondern um Maria Theresia. Deren Liebesheirat mit Franz Stephan von Lothringen anno 1736 und das spätere Werden der Habsburgerin zur legendären Landesmutter Österreichs stecken den historischen Rahmen ab. Das mit allen Wassern ihrer Zunft gewaschene Librettistengespann Brammer & Grünwald hat geschichtliche Fakten gut recherchiert und mit der am Theater üblichen Freiheit in eine geschickt gestrickte Handlung verpackt. Die junge, wider den Stachel der höfischen Konvention löckende Prinzessin Maria Theresia erkämpft sich im ersten Akt ihren geliebten Prinzen. In der Folge wird sie zwar zur Patronin der „Keuschheitskommission“ und erlebt mit ihrem lebenslustigen Gatten eine veritable, durchaus zeitlos wirkende Ehekrise, bleibt aber letztlich die augenzwinkernd volkstümliche Monarchin. Natürlich versöhnt sich das Paar am Ende und das Volk darf in den Gärten von Schönbrunn lustwandeln. Das Volk der untergehenden Monarchie durfte das Stück allerdings 1916 nur als zensurierte „Fürstenliebe“ kennen lernen, wobei allen Leuten klar gewesen sein dürfte, wer mit der „Regentin“ und dem „Prinzgemahl“ eigentlich gemeint war.
Hinter all den nostalgischen Klischees des Textes brodelt allerdings der 1. Weltkrieg. Feurige Zitate des „Prinz-Eugen-Liedes“ im ersten Finale und das große, opernhafte Tableau zu Beginn des zweiten Aktes, gipfelnd im anrührenden Lied „Du mein Schönbrunn“, sind eindeutige Beschwörungen einer ins Wanken geratenen Staatsidee. Der mährisch-jüdische Militärkapellmeisters-Sohn Leo Fall war ein typisches Kind dieser viel geschmähten und viel geliebten, weite Teile Europas kulturell prägenden Monarchie- Ein origineller Komponist im Schatten Lehárs und Kálmáns. Betörend sind seine elegant parfümierten Walzer, pointiert seine mitunter ironisch unterfutterten Couplets, atmosphärisch ist seine selbst gemachte Instrumentierung. Mit Schwung und Charme tanzt diese Musik über Tiefen hinweg. Die Schlager von einst zünden immer noch. Es ist dem Ischler Intendanten Michael Lakner zu danken, dass immer wieder Stücke Falls präsentiert werden, einer sehr schwierigen Materiallage zum Trotz. Die Partitur musste aus fehlerhaften Quellen rekonstruiert werden, was der kompetente Dirigent Marius Burkert mit Liebe und Können bewerkstelligte.
Burkert, sein lustvoll aufspielendes Orchester, Chor und Ballett des Festivals waren die tragenden Säulen der halbszenischen Aufführung. Wie schon im Vorjahr bei Lehárs „Wo die Lerche singt“ vollbrachte Regisseur Leonard Prinsloo das nicht geringe Kunststück, im Raum und auf einer schmalen Spielfläche vor dem Orchester wirklich Theater zu machen, in witzigen, Gestern und Heute verschränkenden Kostümen aus dem Fundus, stimmiger Beleuchtung samt dezenten Projektionen und in klug zugespitzter Textfassung. Prinsloo schärfte die oft etwas schemenhaften Personen zu prallen Theaterfiguren und inszenierte die menschlichen Beziehungen mit jener Mischung aus Ironie und Sentiment, die dem Genre innewohnt.
Die Kaiserin war damals in Berlin die sicher etwas schräge Fritzi Massary. Ischls Primadonna Miriam Portmann stürzte sich anfangs mit Verve ins Wäschermädltreiben, war dann als reifere, sehr wienerische Frau ganz in ihrem Element und sang mit warmer, leuchtender Sopranstimme und blendender Artikulation. Sie war zweifellos das gesangliche Zentrum der Produktion. Rundum gruppierten sich bestens ihr „Franzl“ Jevgenij Taruntsov mit hellem, slawisch-metallenem Tenor, die feingliedrige und feinstimmige Soubrette Verena Barth-Jurca als lockere Pariser Verwandte, Clemens Kerschbaumer mit aufhorchen lassendem tenoralen Applomb als junger Lebemann Pepi Cobenzl und die schauspielerisch markante Gabriele Kridl als altjüngferliche Sittenwächterin Gräfin Fuchs. Jeder Zoll ein diplomatischer, aber menschlicher Kanzler Kaunitz war Gerhard Balluch. Mit an Nestroy gemahnender Komik punktete Karl Herbst, der komisch korrupte Kammerheizer Kleespitz. Die kleinen Partien, darunter die schrillen Gesandten vor und die bagschierlichen „Prinzessinnen Bauxerln“ nach der Pause, waren allesamt rollendeckend präsent. Die vergnüglichen drei Stunden wurden mit großem Applaus belohnt.