Küssen, beißen und ganz sanft schwärmen
REST DER WELT / GRAZ / STYRIARTE
05/07/13 Was wäre die Musik ohne Liebeslieder? Mit den Minnesängern geht es los in der (dokumentierten) abendländischen Musikgeschichte… Ein paar Eindrücke von der Styriarte in Graz, von Konzerten mit Arianna Savall und ihrem Ensemble „Hirundo maris“ sowie „La Venexiana“.
Von Reinhard Kriechbaum
Arianna Savall, die Tochter von Jordi Savall und der im Vorjahr verstorbenen Sängerin Montserrat Figueras, hat sich ganz der Musik des Mittelalters verschrieben. Das Ensemble „Hirundo maris“ ist eine international besetzte Schar, die unglaublich viele rekonstruierte Instrumente spielt. Solcher Universalismus ist selten geworden in der Szene, die eher auf Spezialisierung setzt. Das Trüppchen „malt“ gerne mit dem alten Gerät. Lieder des frommen und weisen Königs Alfons X., der okzintanischen Traubadours und normannischen Trouvères, von deutschen Minnesängern und nordischen Überlieferungen aus der fraglichen Zeit wurden kombiniert mit Gesängen komponierender Frauen von Hildegard von Bingen bis zu den französischen Troubairitz, dem weiblichen Gegenüber der Troubadours.
Das wäre insgesamt eine immens erzählerische Lied- und vor allem Vortragskunst – wenn man sich bloß drauf einließe und sich nicht verlöre in ausufernden Klangspielereien zwischen den Strophen, in einem Übermaß an Schnörkseln und Zierrat. Sagen wir es salopp: Arianna und die Ihren haben an der Schola Cantorum in Basel vermutlich an der Fakultät für notorische Sensibelchen studiert…Ganz anderer Tobak zwei Tage zuvor, als das famose italienische vokal/instrumentale Mischensemble „La Venexiana“ angetreten ist, von den großen und kleinen Liebesfreuden und natürlich auch von gewaltigem Liebesleid aus dem siebenten Madrigalbuch von Claudio Monteverdi zu erzählen. Monteverdi hat das vornehmlich in Duo-Besetzung für zwei hohe Stimmen (zwei Tenöre oder zwei Soprane) gefasst, die gemäß der „seconda prattica“ über einem Continuo alle Ausdrucksmöglichkeiten der neuen (Opern-)Rhetorik bedienen.
Ganz besonders an „La Venexiana“: wie die Farben von Cembalo, Harfe, Theorbe und Violoncello unmittelbar in den Dienst des Sprachgestus gestellt werden. Da können die Sängerinnen und Sänger (Monica Piccinini, Francesca Cassinari, Raffaele Giordani und Alessio Tosi) wirklich mit großer Geste rangehen an die kleinen Schlüpferigkeiten und großen Emotionen der Texte – und das verträgt dann auch ein kräftiges Überzeichnen. „Küssen und beißen“ hat das Programm geheißen, und es hatte fürwahr Biss.