Rauchende Köpfe nach rauchenden Schloten
REST DER WELT / LINZ / NEUES MUSIKTHEATER
11/04/13 Die Satellitenkarte von Google zeigt das Gebäude schon in seiner ganzen Mächtigkeit. Auf dem Online-Stadtplan von Google sucht man derweil noch vergeblich nach dem Wort „Musiktheater“. Aber das kann sich stündlich ändern…
Von Reinhard Kriechbaum
In fünf Minuten ist man von der Bahnhofshalle jedenfalls zu Fuß locker im Foyer. Es sind nur dreihundert Meter. Günstigere Voraussetzungen, mit der Bahn so nah an ein Opernhaus zu kommen, hat wohl keine österreichische Landeshauptstadt. Heute Donnerstag (11.4.) wird das neue Musiktheater eröffnet, morgen Freitag (12.4.) wird eine neue Oper von Phil Glass aus der Taufe gehoben, und ab Samstag gibt es Musical. Für diese Sparte baut man ein eigenes Ensemble auf.
Im Umformatieren von Linz als einst krisengebeutelter Stahlstadt zur Kulturstadt ist man einen gewaltigen Schritt weiter gekommen. Linz sei, so Landeshauptmann Josef Pühringer, von einer Stadt der „rauchenden Schlote zu einer der rauchenden Köpfe“ geworden. Er meint damit natürlich intellektuelle Rauchwolken. Das Köpferauchen in Sachen Musiktheater hat im grundsätzlich auffallend auf Optimismus grundgestimmten Linz allerdings drei Jahrzehnte gewährt, und es ist auch Smog produziert worden. Es gab langwierige städtebauliche Diskussionen (es hätte ursprünglich ein unterirdisches Theater unter dem Linzer Schloss werden sollen). Das Musiktheater ist als kulturelles Prestigeunternehmen bis heute erklärtes Feindbild der FPÖ, und in einer Volksbefragung waren zuerst auch viele Linzer gewillt, deren Verhinderungs-Gedanken zu folgen…
Doch das ist nun ausgestanden, das neue Haus am Volksgarten steht betriebsbereit da. Übrigens genau an jenem Ort im Volksgarten, wo schon Hitler ein neues Theater haben wollte. Aber das spricht eher für die Logik des Platzes. Verkehrstechnisch, vor allem für die Bevölkerung im Umkreis der Stadt, ist die Lage in unmittelbarer Bahnhofsnähe einmalig. Ein Musiktheater im Hochhaus-Ambiente des Bahnhofsviertels suggeriert auch Bezug zum Heute.
Josef Pühringer spricht von der „größten kulturellen Bau-Investition in der Geschichte des Bundeslandes“. Und er nennt handfeste Gründe dafür, dass man sich in Oberösterreich ein solches Musiktheater auch leisten kann: Das Land nehme 14 Prozent der Fläche Österreichs ein, stelle 17 Prozent der Einwohner – liefere aber dreißig Prozent der Wirtschaftskraft. Trotzdem ist eine Investition von 180 Millionen Euro (bei den veranschlagten 150 Millionen ist es nicht geblieben) kein Pappenstiel, auch für Oberösterreich nicht. Aber, so Pühringer unlängst bei einem Pressegespräch in Salzburg: Solche Kultureinrichtungen seien „Standortfaktoren“.
Und, so Pühringer weiter: „Wenn es stimmt, dass die Kultur das Bleibende“ sei, dann erlebe man derzeit in Linz das „Jahrzehnt der Kulturbauten“ schlechthin und schaffe bleibende Werte. Pühringer erinnerte an die Museumsbauten der jüngsten Vergangenheit, und im kommenden Jahr werde die Bruckner-Universität ein neues Gebäude am Pöstlingberg beziehen. Im Linz ist viel möglich. Neidisch könnte man werden, wenn man von Salzburg mit seinem seit 2008 unveränderten 15-Millionen-Landestheaterbudget nach Linz schielt.
Der Großer Saal des neuen Musiktheaters fasst 1.250 Zuschauer, die BlackBox (Studiobühne) bietet bis zu 270 Plätze, und dann gibt es noch den Orchestersaal mit maximal 200 Plätzen. Für den Landestheater-Betrieb insgesamt bedeutet das entscheidende Veränderungen. Derzeit legt man 230.000 Karten pro Spielzeit auf, 280.000 sollen es in Zukunft sein. Die Zahl der Premieren soll ab kommender Saison vierzig betragen (das heißt: plus zwanzig Prozent). Das will also alles erst mit Inhalt und mit Publikum gefüllt werden.
65 Meter misst die Glasfassade zum Volksgarten hin, 215 Meter führt das Gebäude in die Tiefe. Sieben Geschoße hat das Haus, dazu kommen noch drei für den Bühnenturm. 52.420 Quadratmeter beträgt die Bruttogeschoßfläche, es gibt 940 Räume, 300 Kfz-Stellplätze in der Tiefgarage. Die Fassadenflächen wurden mit 4.000 Quadratmeter Stein (7.500 Stück Travertinsteine) verkleidet, 4.800 Quadratmeter bestehen aus Glas und Metall, 2.100 Quadratmeter sind Architekturbeton. Die multifunktionalen Foyerräume machen in Summe 2.000 Quadratmeter aus.
Besonders stolz ist man auf die Bühnentechnik, vor allem auf die multifunktionale Transportdrehbühne mit 32 Metern Durchmesser. Sie ist die zweitgrößte ihrer Art in Mitteleuropa und erlaubt es, mehrere Bühnenbilder zu bewegen und zu verfahren, sowie vollständige Dekorationen aus der Montagehalle der Hinterbühne nach vorne zu transportieren. Der Personalaufwand werde damit bis zu 50 Prozent reduziert, heißt es. „Beispiellos“ seien auch die vollautomatisch computergesteuerten Dekorations- und Prospektlager, die nicht ausgelagert sind, sondern sich direkt im Theatergebäude befinden. „Diese Lagersysteme wurden zuvor auf wurden zuvor auf Flughäfen erprobt und kommen nun erstmalig auch in einem Theaterbetrieb zur Anwendung.“
24.000 LED-Lichtpunkte beleuchten das Decken-Oval über dem Großen Saal. Überhaupt hält man es mit der Ökologie und spricht von einem “Niedrigstenergiehaus“. Photovoltaik, Solarenergie, Fernkälte, hochwirksam dämmende Fenster sowie Wärmerückgewinnungssysteme: „Allein durch die Einsparung könnte man achtzig Einfamilienhäuser mit Energie versorgen“, erklärt der kaufmännische Direktor.