Das Goldene Kalb ist doch nur ein Hase
REST DER WELT / LINZ / SPUREN DER VERIRRTEN
15/04/13 Und schaut die Szene auch noch so befremdlich aus: Gut, dass man zu schauen hat und abgelenkt ist. Leicht sonst könnte es zu Amokläufen halbwegs musikalischer Menschen kommen in Philip Glass‘ am Freitag (12.4.) im neuen Linzer Musiktheater uraufgeführter Oper „Spuren der Verirrten“.
Von Reinhard Kriechbaum
Wie Philip Glass tickt, weiß man ja. Sein Stil hat sich in den letzten Jahrzehnten ziemlich verfestigt. Es ist eine Variante der Minimal Music, die klanglich irgendwo bei Wagner einhakt und in satter Klangfülle in kleinen Schlingerbewegungen weiterwurstelt. Nach einer halben Stunde hat man eigentlich alles gehört, was da weitere hundert Minuten auf kunstgewerblich hohem Niveau schnurren wird. Der Linzer Opernchef Dennis Russel-Davies, der die Glass’sche Musik so leidenschaftlich verbreitet, und das Brucknerorchester haben die Kniffe drauf, um das Durchschaubare auch durchaus angenehm durchhörbar zu machen.
So weit so schlicht. War es eine gute Idee, zur Vertonung eines Textes von Peter Handke auf Glass zu setzen, also einer literarischen Textfläche eine Musik-Fläche gegenüber zu stellen? Das wird alles verdächtig flach, nicht zuletzt deshalb, weil Handke, dessen Text der Linzer Landestheater-Intendant Rainer Männecken durchaus verantwortungsbewusst zum Libretto umgeformt, sprich: leicht eingedickt hat, nicht wirklich an Tiefe gewinnt, wenn man die Sätze hinausschreit. Auf ein etwas großgestig tönende Deklamieren läuft es hinaus. Die zu singenden Melodien wirken höchst willkürlich drübergelegt über den orchestralen Webteppich. Wusste Phil Glass eigentlich, was genau er da vertonte? So viele der deutschen Sprachmelodie unnötig zuwiderlaufende Akzente!
Egal erst einmal. Wenn ein Musiktheater eröffnet wird, dann kommen die meisten Leute ohnedies, um zu schauen. Aufs Haus, das im Zuschauerraum in seinen Gold/Braun-Tönen edel und vornehm wirkt. Die Foyerräumen sind nicht minder edel mit viel Marmor und Glas zur Parkseite hin, sie wirken großzügig, geräumig und bergen natürlich das heutzutage unverzichtbare Quantum an Kunst-Zutaten. Kunst „am“ und „im“ Bau. Das muss sein.
Zu bewundern hatte man bei der ersten Aufführung im neuen Musiktheater aber auch genug, was die technische Infrastruktur betrifft. Selbst die Pausen-Signale wirken ausgeklügelt und halten jederzeit mit den Klingeltönen am eigenen iPhone mit. Und erst die Bühnentechnik! Da wird das Orchester mit seinem ersten Streichertremolo hochgefahren, und es herrscht auch in Folge gelegentlich Auf-Ab-Bewegung im Orchestergraben. Die Drehbühne hat einen gewaltigen Radius. Auch mit einem Bühnenbild aus bescheidenen Versatzstücken kann man da effektvoll Ringelspiel fahren. Im Fall der „Spuren der Verirrten“ lässt sich das sogar leidlich aus der Sache heraus erklären, denn es geht da auch eins ins andere: ein Panoptikum aus (wenig) Freud und (episch ausgemaltem) Leid, aus Mord und Totschlag mit buffonesken Lockerungen.
Wenn man will: ein Totentanz mit Hang zur leichter Ironisierung und Verhintergründigung. Bei Handke jedenfalls ist es so. Regisseur David Pountney ist als Intendant der Bregenzer Festspiele große Dimensionen gewohnt und weiß, wie man Stellfläche und Luftraum bebildert. Bei ihm wird aus der Verhaltenheit eine tendenziell grelle Satire. Was er nicht alles aus dem Hut zaubert an Figuren zwischen Mythos und Goya’schen „Desastres de la guerra“! Das Riesenkarnickel kommt freilich aus keinem Zauberhut, es ist offenbar eine Art Goldenes Kalb, um das man nicht tanzt, sondern das in einer bizarren Prozession über die Szene getragen wird.
Wir sehen in Tanzeinlagen Salome und Herodes, Orpheus und Eurydike, Abraham und Isaac, Medea, und schließlich „trifft Ödipus auf Octavian und die Maschallin“. Das hat wohl so kommen müssen. Aber zu diesem Zeitpunkt ist ohnedies schon alles außer Rand und Band, es werden immer noch mehr Menschen auf der Bühne. Das Orchester wechselt hinauf, der Chor hinunter in den nochmal gehobenen Orchestergraben. Der Dirigent treägt eine Pappkrone, wahrscheinlich, damit alle Beteiligten den Chef herauskennen im allgemeinen Überfüllungs-Tohuwabohu.
So wie der Gesang als oberflächliche Zutat zum Orchestersatz wirkt, mutet die Regie nochmal als etwas Übergestülptes an. Eine unverbundene Szenenfolge, nicht angekränkelt von des tiefen Gedankens Blässe. Ein postmodernes optisches Kauderwelsch.
In einer der ersten Szenen sehen wie zwei Alte beim Fußbad, sie wirken milde wie Philemon und Baucis, und er sagt zu ihr: „Wir haben schon schlimmeres überstanden.“ Da ahnt man als Zuschauer noch nicht, wie knüppeldick es kommt. Der Chor hat zu tun, es gibt choreographische Einlagen, das Schauspielensemble ist ebenso eingebunden – irgendwie ist es so, als habe man sich auf ein barockes Demo-Repräsentationstheater in Sachen Mehrspartenhaus verständigt. Am Ende wird es immer mehr zur Revue. Viele Köche sind am Werk, aber eine solche Bühne verkraftet schon viel Brei. Auch leicht verdorbenen.