Shakespeare, but fun forever
REST DER WELT / WIEN / ROMEO UND JULIA
31/10/11 Wahrscheinlich ist es so, dass sie kein jugendpädagogisches Umfeld vorfinden, Romeo und seine „Gang“. Ein Jugendzentrum mit sinnvollem Animationsprogramm täte ihm, Mercutio und Benvolio gut. Ein solches ist auf der Burgtheater-Bühne nicht in Sicht.
Von Reinhard Kriechbaum
So also sind die Knaben auf sich gestellt und leben ihr Rabaukentum lustvoll aus. Mangels altersgerechtem Spielplatz kommen die städtischen Brunnenanlagen alleweil recht. Man spritzt und tunkt und macht auch sonst auf dem zeitgeistig gestalteten Platz (die Veroneser Architekten sind wohl flinker als die Streetworker) alles, was den Altvorderen missfällt. Vor allem der leicht stotternde Tybalt (einer vom gegnerischen Lager, wie wir wissen) wird provoziert, was das Zeug hält. Die Degen sind immer bereit, und so rauft und balgt und schlägt und duelliert man sich, dass es eine Freud’ ist.
Mitreißend, wie uns der Regisseur „Romeo und Julia“ als Pubertätskomödie nahe bringt. „Jetzt bin ich 33“, schreibt David Bösch im Programmfolder über sich, und es schwingt mit: Er hat jetzt den Durchblick, den totalen. Einer mit 33 kann nicht mehr irren. Aber den Jugend-Slang hat er auch in so erlauchtem Alter noch ganz toll drauf. Die Textübersetzung von Thomas Brasch ist ohnehin nicht der zurückhaltendsten eine, aber in dieser Burgtheater-Aufführung wird das alles noch getopt. Da findet sich der Halbwüchsige von der Straße unmittelbar wieder, auf höchstem Schauspieler-Level.
Es passt einfach alles, wie diese Knaben mit dramatischem Testosteron-Überschuss in die Tragödie schlittern: Shakespeare, but fun forever. Präzise zeichnet David Bösch die Figuren: Fabian Krüger (Mercutio) und André Meyer (Benvolio) sind burleske Charakterfiguren, die ihnen keiner so schnell nachmacht. Tybalt (Daniel Jesch), ein etwas unterbelichteter Kerl, ebenso. Und dann ist da eben Romeo (Daniel Sträßer), der Frauen-Maulheld in der Gruppe, der wahrscheinlich mit Julia die erste der Spezies von der Nähe sieht und ab da wie Traummännlein persönlich verliebt irrlichtert. Wie würde das, wenn er gar 33 wäre? Das wollen wir uns lieber nicht ausmalen.
Jedenfalls: Romeo erkennt, dass da noch was ist, wäre, sein könnte, vielleicht. Daniel Sträßer zeigt einen, der das Zeug hätte, wirklich erwachsen zu werden, vielleicht in ein paar Jahrzehnten schon. Und erst seine Julia: Yohanna Schwertfeger lüftet mal ihr Kleidchen und zeigt Romeo ihr Höschen, als ob sie mit ihrem Teddybären Verliebsein spielte. So herzig-naiv, ganz und gar unberechnend-draufgängerisch. Wenn Bruder Lorenzo ihr die Wirkung des Schlaftrunks erklärt und sagt, sie werde wie tot da liegen, fällt sie ihm ins Wort: „Wie Schneewittchen!“ Und „Happy End“ ruft sie, aus dem Scheintod erwacht, wenn wir längst schon wissen, dass keine Komödie gespielt wird.
A propos Komödie: Ist das alles, abgesehen vom Plot, noch Shakespeare? Oder gerade erst recht Shakespeare, weil aller deutscher Übersetzungs-Klassizismus oder -Romantizismus draußen sind? Frivole Burleske fehlt nicht im Original, und die wird brillant ins Heute geführt. Dass Familienfehde herrscht, dass die Jungen auf dramatischste Weise die Rechnung der Alten bezahlen? Das interessiert David Bösch nicht so vordringlich. Was er uns umso deutlicher zeigt: dass die Altvorderen überhaupt nicht taugen als Vorbilder.
Ignaz Kirchner als Capulet ist ein besonderer Widerling der Spezies „Erwachsener“, Petra Morzé (Lady Capulet) eine alkoholgetränkte Stelzen-Wankerin auf ihren viel zu hohen Absätzen, und Gerrit Jansen als Graf Paris ein unguter Anpässler. Keine Identifikationsfiguren für die Heranwachsenden. Branko Samarovski gibt einen jovial wohlmeinenden Bruder Lorenzo. Für ernsthafte Strategie ist dieser liebenswerte Verbündete der Jungen vermutlich zu klein übersetzt. Und die Amme (charismatisch wie nur: Brigitta Furgler)? Eine, die auch reichlich mit sich beschäftigt ist.
Die jungen Leute müssen einem Leid tun in einer Welt nicht mehr existierender, vielleicht auch nur nicht mehr kommunizierter Werte. An der Kommunikation nämlich scheitert es - nicht nur akut, weil Romeo im Exil seine Handy-Voicebox nicht abfragt und Pater Lorenzos Botschaft fatalerweise ins Leere geht.