An der Wolga geht es auch ohne Kitsch
LEHÁR FESTIVAL BAD ISCHL / DER ZAREWITSCH
20/08/21 Das Lehár Festival Bad Ischl holt heuer das Lehár-Jahr nach. Der 150. Geburtstag des Operetten-Meisters fiel ja 2020 großteils und in Ischl komplett der Pandemie zum Opfer. Dafür gab diesen Sommer es gleich zwei neue Produktionen mit Dein war mein ganzes Herz und dem Zarewitsch in einer neuen spannenden Fassung.
Von Gottfried Franz Kasparek
Welch ein Glück, dass diese Produktion ohne die leider in der Operette zur Mode gewordenen Microports auskommen darf. Franz Lehárs späte, opernhafte Stücke ohne Happy end stehen dieser Unsitte noch mehr entgegen als revuehaftere Stücke. Also durfte Bernhard Berchtold, der am Beginn seiner schönen Karriere 2001 in Ischl einen hervorragenden Adam in Zellers Vogelhändler gegeben hat, seine feine, sensible Tenorstimme natürlich fließen lassen. Er ist ein reifer Zarewitsch, aber manche Thronfolger warten halt lange auf den Thron. Dem Sonderling, der sich vor dem „großen Geheimnis“ der Weiblichkeit fürchtet, schadet dies nicht. Berchtold ist kein Sänger veristischer Emphase, sondern einer der lyrischen Verinnerlichung. „Tenore di grazia“ nennen das die Italiener. Und siehe da, das sonst doch oft kitschgefährdete Wolgalied wird bei ihm zu einem traurigen, berührenden Volkslied. Im weiteren Verlauf erfreuen edle Kantilenen und wenn es im Finale dann auf mehr Kraft ankommt, hat er auf seine Art auch diese zur Verfügung.
Als Sonja debütiert in Ischl Anne-Fleur Werner, bestens bekannt als Operndarstellerin zwischen Mozarts Fiordiligi, Webers Rezia und Gounods Margarete vom Salzburger Landestheater, dem sie ab kommender Saison leider nicht mehr angehören soll. Im Grunde ist sie wie ihr Bühnenpartner im lyrischen Belcanto beheimatet, aber ihr blühender Sopran ist sehr gut dazu geeignet, einen Frauenfeind restlos zu bekehren. Noch dazu spielt sie mit Verve und durchaus erotischer Ausstrahlung – doch ist sie kein süßes Tscherkessenmädel, sondern eine selbstbewusste junge Frau, die am Ende sogar den Zarenthron ausschlägt, weil sie ihren Platz auf der Seite ihres Volkes sieht. Kenner und Liebhaberinnen des Stücks wundern sich nun. Ja: Regisseurin Isabella Gregor hat das Stück im 19. Jahrhundert belassen, aber den zweiten und den dritten Akt vereint.
Denn das Liebesgetändel der nach Neapel geflüchteten Paare findet als Traum Aljoschas und Sonjas statt, noch vor der Intrige des Großfürsten, wird mit dieser verzahnt und führt nach den üblichen Liebes-Turbulenzen samt Verzeihung direkt zum Ende, in dem der Zar nicht eines natürlichen Todes gestorben, sondern einem Attentat zum Opfer gefallen ist.
Aljoscha bittet Sonja, an seiner Seite den Weg weiter zu gehen – aber „warum hat jeder Frühling ach nur einen Mai...“ Da ist Isabella Gregor im Verein mit dem kompetenten Bewahrer der Originalpartitur am Pult, Marius Burkert, die Ehrenrettung einer oft allzu rührseligen Geschichte gelungen. Die sehr gestrafften Sprechszenen führen zu einem grandiosen, fast durchkomponierten Opernfinale und zu glaubhaften Konstellationen im Geflecht der Beziehungen, die direkt ins Herz treffen. Und dies geschieht nahezu ohne Eingriffe in die Musik, denn die ist, wie immer bei Lehár, ohnehin ehrlich und tief empfunden.
Das Buffopaar, der bewährte Roman Martin als des Zarewitsch vifer Kammerdiener und die erfrischend agierende Thereas Dax als dessen resolute junge Ehefrau, singt mit Animo und stellt eine zweite, am Theater uralte Ebene dar – seien es Shakespeares Rüpelszenen oder Mozarts Papageno und Papagena, die einem dazu einfallen. Mascha und Iwan führen im Gegensatz zur tragischen Liebe des „edlen Paars“ eine recht offene Beziehung, die auch die Flirtabenteuer in bella Napoli überleben kann. Woselbst der bösartige Ministerpräsident sich im Traum in den Macho Bordolo verwandelt hat – Florian Stanek ist in beiden Rollen prägnant. Mitunter wird ein wenig auf die Gegenwart angespielt, auf Zustände in den Reichen Putins und Lukaschenkos. Vor allem der eigentlich weise Großfürst, dem Walter Sachers menschliche Tiefe verleiht, trägt dazu bei. Zu seiner Sentenz, dass immer die falschen jungen Ehrgeizigen Karriere machen, gemünzt auf den aalglatten Ministerpräsidenten, kann man sich was denken.
Nachzutragen ist noch, dass Bühnenbildner Toto und Kostümbildner Sven Bindseil für ein atmosphärisches Ambiente sorgten und Leon de Graaf flott choreographierte. Und dass das Ischler Orchester zu Recht den Namen Franz Lehárs trägt, so mitteilsam, transparent und bewegend wird unter Marius Burkerts kapellmeisterlicher Souveränität diese als Operette getarnte, prachtvolle Opernpartitur musiziert. Großer Jubel des Publikums für alle Mitwirkenden.