Letzter Wille wieder entdeckt
BRUCKNERTAGE ST. FLORIAN
24/08/21 Hans Pfitzner prägte einmal das böse Bonmot, Anton Bruckner habe lediglich eine einzige Sinfonie komponiert, die aber neun Mal. Er ließ nur dessen Scherzi gelten. Schon die Zahl stimmt nicht: es waren elf, und viele davon gibt es in mehreren Fassungen.
Von Horst Reischenböck
Wenig bekannt ist, dass Bruckner ausgerechnet die so populäre Vierte Sinfonie in Es-Dur WAB 104 zum Schmerzenskind werden sollte. Von der Romantischen, ein Beiname den Bruckner später eliminierte, existieren nicht weniger als 15 Versionen! Sieben davon handschriftlich, acht im Druck. Die letzte Umarbeitung datiert aus dem Jahr 1888, als bereits der Kopfsatz seiner 9. Sinfonie vollendet war. Ihrer bedienten sich berühmte Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler, Hans Knappertsbusch, Clemens Krauss oder Bruno Walter mit den Berliner und Wiener Philharmonikern, aber auch dem NBC Symphony Orchestra in New York.
Dann kam freilich Leopold Nowak, der die Gesamtausgabe der Werke Bruckners verantwortete. Er war der Ansicht, Bruckners Schüler wären an der letzten Umarbeitung „schuld“ gewesen und er ließ deshalb nur mehr die heutzutage geläufige Fassung von 1878/80 gelten. Damit negierte er freilich, das, was der Komponist einst an den Dirigenten Hermann Levi schrieb: es seien „Veränderungen aus eigenem Antrieb“.
Die Letztfassung durfte man dieser Tage (20./21.8.) in der Stiftskirche St. Florian kennen lernen – eine veritable Wiederentdeckung. Benjamin Korstvedt ist die Wiederentdeckung und Edition der Endgestalt zu verdanken, die im Rahmen der Brucknertage St. Florian – nicht zu verwechseln mit dem Bruckner-Fest der LIVA im September – nun zwei Mal aufgeführt und begeistert aufgenommen wurde. Ausgeführt vom Altomonte Orchester. Es ist nach dem dort tätig gewesenen und 1783 gestorbenen Bartolomeo Altomonte benannt, einem der Meister der Barockmalerei in Österreich. Ein international besetzter Klangkörper mit herausragend britischem Blech, wie in den vergangenen Jahren in wenigen Proben durch Rémy Ballot phänomenal homogen geformt.
Rémy Ballot war ein Schjüler von Sergiu Celibidache (einem legendären Bruckner-Interpreten). Er leitet das Orquestra Sinfónica Nacional de Cuba wird ab dem kommendem Jahr dort dem Lyceum Mozartiano de La Habana vorstehen.
Ballot folgte mit letztem körperlichen Einsatz bewusst Bruckners Intentionen, der speziell auf „ruhiges“ Musizieren Wert legte. So wurden hörbar Veränderungen bewusst. Beispielsweise, dass er ein einziges Mal den ersten Teil im Scherzo mit Paukenwirbel verdämmen lässt und dadurch den leisen Einstieg ins anschlißende Trio vorbereitet. Oder der aufrüttelnde Beckenschlag im dämonischen Finale, das dann, in eine grandiose Coda hineingesteigert, nach einer Stunde und zwanzig Minuten (!) den bekrönenden Abschluss markiert. Der Live-Mitschnitt wird das Nachhören dieses Ereignisses möglich machen – für nächstes Jahr sind Bruckners Erste und sein Te Deum angekündigt.
Bei den Brucknertagen St. Florian (14.-22.8.) wurde auch Anton Buckners neu renovierter Bösendorfer-Flügel aus dem jahr 1848 vorgestellt. Wolfgang Brunner spielte auf diesem Instrument, das Bruckner fast fünfzig Jahre begleitete und an dem bruckner alle seine Symphonien komponierte..An diesem Konzertabend erklangen auch alle sechs Klavierkompositionen Bruckners, die allein kein Konzertprogramm füllen würden.