Tannhäusers Wiener Wahnvorstellungen
REST DER WELT / WIENER STAATSOPER
24/06/10 Die Herren der „guten Gesellschaft“ suchen im ersten Aufzug das körperliche Amusement im Hotel Orient, bevor sie zum Sehen und Gesehenwerden im nachgebauten Schwindfoyer der Oper mit ihren Gattinnen am Arm flanieren: Claus Guths bis ins kleinste Detail durchdachte, spannende Interpretation ist die regiemässige Krönung der Holender-Ära.
Von Oliver Schneider
Mit Wagners „Tannhäuser“ verabschiedet sich Ioan Holender als längst amtierender Staatsoperndirektor und heizt noch ein letztes Mal die Diskussion über Regie versus blosse Bebilderung in der Oper im konservativen Wien ein. Beides konnte man in 97 Premieren erleben. In Erinnerung bleiben werden aber zumindest szenisch nur die Arbeiten, die eine deutliche Handschrift tragen, wie eben Claus Guths „Tannhäuser“.
Der deutsche Regisseur hat in Zusammenarbeit mit seinem ständigen, kongenialen Ausstattungspartner Christian Schmidt einen echten „Wiener Tannhäuser“ auf die Bühne gezaubert. Verankert im Fin-de-Siècle, in dem Aufbruchstimmung und Konservativismus künstlerisch mit Jugendstil und Historismus nebeneinander stehen. Venusberg, Sängerwettstreit, der Entscheid zwischen Elisabeth und Venus sowie die Pilgerfahrt nach Rom, das alles erlebt Tannhäuser in seinen Träumen, womit Guth sich dem Werk in Einklang mit der zeitlichen und örtlichen Verankerung von der psychoanalytischen Seite nähert.
Tannhäuser besitzt einen Doppelgänger, Elisabeth und Venus repräsentieren die zwei Seiten der Liebe, die Heinrich nur kompromisslos ausleben kann. Dafür bewundert ihn der Intellektuelle Wolfram, dem für einen solchen Schritt der Mut fehlt. Wolfram scheint Teil einer unehrlichen Gesellschaft zu sein, die sich mit Kompromissen arrangiert. So suchen die Herren der „guten Gesellschaft“ im ersten Aufzug das körperliche Amusement im Hotel Orient, bevor sie zum Sehen und Gesehenwerden im nachgebauten Schwindfoyer der Oper mit ihren Gattinnen am Arm flanieren.
Während sich Tannhäuser und Elisabeth im Foyer wiederbegegnen, erstarrt die Gesellschaft. Plötzlich verschieben sich auch die Wände in alle Richtungen, und statt einer festlichen Gästeschar kommen maskierte Geistliche zum Sängerwettstreit, wofür Guth sich von Schnitzlers Traumnovelle inspirieren ließ. Nachdem sich Tannhäuser offen zur sinnlichen Liebe bekannt hat und zusammengebrochen ist, landet er schießlich an dem Ort, an dem die Wiener immerhin standesgemäßrepräsentativ ihre psychisch Kranken unterbringen, auf der Baumgartner Höhe.
Nicht nur der seine Fantasien im Traum auslebende Tannhäuser ist hier gelandet: Elisabeth und Wolfram leisten ihm Gesellschaft. Elisabeth wacht an seinem Bett, bevor sie ihrem Leben mit einer Überdosis Schlaftabletten ein Ende setzt. Die Rom-Pilger sind psychisch Kranke, für die es keine Erlösung gibt. Als ewiger Zauderer spielt Wolfram nur mit dem Revolver. Vielleicht findet er am Ende den Mut, sich zu töten, nachdem Tannhäuser nach seiner Rom-Erzählung anscheinend erlöst die Anstalt verlassen kann und sich der Kreis zum Anfangsbild schließt. Doch das lässt die Regie offen.
Nach dem Ring betreut der designierte Generalmusikdirektor auch diese Wagner-Neuinszenierung. Gespielt wird die endgültige Dresdner Fassung, die den „Tannhäuser“ eindeutiger als romantische Oper positioniert und die musikalisch geschlossener erscheint als die Tristan-nahe Pariser Fassung. Welser-Möst ist ein Garant für einen gut ausbalancierten, transparenten, teilweise faszinierenden Wagner-Klang. Sein Quentchen Distanz, das er wahrt, ist wohl im Fall des „Tannhäusers“ nötig, um nicht vollkommen von der Musik vereinnaht zu werden. Der große Spannungsbogen baut sich jedenfalls erst ab dem zweiten Aufzug auf. Die wunderbar reinen Hörner und die flirrenden Streicher in der Ouvertüre beweisen hingegen von Anfang an, was für ein großartiges Orchester im Graben spielt. Auch der von Thomas Lang einstudierte Staatsopernchor verstärkt durch den Slowakischen Philharmonischen Chor zeigt sich erfreulicherweise als homogenes Ensemble.
Johan Botha in der Titelrolle litt in der besuchten zweiten Vorstellung im ersten Aufzug an Konditionsschwäche, was Dunkles ahnen ließ. Im zweiten Aufzug war er aber wie ausgewechselt und punktete mit heldischer Strahlkraft. Seine Rom-Erzählung geriet äußerst intensiv; man lernte einen Johan Botha kennen, der auch jenseits voluminöser Stimmkraft einiges zu bieten hat.
Christian Gerhaher als Wolfram und Anja Kampe als Elisabeth geben in dieser Neuinszenierung ihre zu Recht bejubelten Hausdebüts. Gerhaher, der in den September-Vorstellungen durch Matthias Goerne ersetzt wird, ist mit seinem virilen Bariton und vor allem seiner ungemeinen Textdeutlichkeit eine Idealbesetzung. Kampe besitzt für die Elisabeth die prägnante, jubelnde Höhe, eine klangvolle Mittellage und beseelte Abgeklärtheit für das große Gebet.
Ain Anger verleiht dem Landgraf seine kernige Tongebung, Gergely Németi setzt als Walther von der Vogelweide kurze Akzente. Als Hirte lässt der St. Florianer Sängerknabe Alois Mühlbacher aufhorchen.