Man ist wie ein Tier ... man versteckt sich
LINZ / DIE LIVE-SENDUNG
04/10/05 Er ist ein Langzeit-Arbeitsloser zum Vorzeigen, dieser Pierre Delile. Jetzt hat er wieder Arbeit gefunden und man will ihn in einer Fernseh-Reality vorführen als einen, der's wieder geschafft hat.Von Reinhard Kriechbaum
Ein gar absonderliches Stück hat Gerhard Willert, Schauspieldirektor in Linz, für seine Kammerspiele ausgegraben: 1988 war in Paris die Uraufführung von Michel Vinavers "L'emissions de télévision", wie das Stück im Original heißt. Damals war Reality-TV noch kein gängiges Format wie heute. Deren Hemmungslosigkeit hat der französische Dramatiker fast prophetisch vorweggenommen. Aber das Stück ist rasant gealtert. 2004 erst Uraufführung in Essen, jetzt in Linz die erste Produktion in Österreich: Vielleicht war "Die Live-Sendung" 1988 zu utopisch – aber jetzt, da Reality-TV gang und gäbe ist, wirkt das Stück wie ein schaler Schatten medialer Wirklichkeit.
Neben Pierre gibt noch einen zweiten Kandidaten für die Show. Der Nachbar Nicolas Blache hat dasselbe Schicksal wie Pierre erlebt und auch wieder einen Job gefunden. Sogar schneller. Überhaupt ist Blanche viel smarter als der spröde und zögerliche Pierre, der immer ein wenig den Pessimisten raushängen lässt. Und dann kommt's: Der Nachbar wird ermordet, und der Verdacht taucht auf, Pierre könnte sich den gefährlichen Nebenbuhler vom Hals geschafft haben, um seinen TV-Auftritt zu retten. Obendrein wird ruchbar, dass der Nachbar vor 25 Jahren was mit Pierres Frau hatte. Ist der erwachsene Sohn womöglich gar Ergebnis eines Seitensprungs?
Eine so deftige wie banal gekleisterte Geschichte. Es spielen mit: die beiden ehemaligen Arbeitslosen und ihre Frauen. Was wäre so ein Job-Loser schon ohne Lenkerin am häuslichen Herd? Die beiden jungen Fernsehjournalistinnen sind ein lesbisches Paar (das muss auch rein). Eine Jungjournalistin ist hinter einem Job und ergo hinter der Story her: keck und draufgängerisch, und sie hat natürlich vor nichts und niemandem Respekt, schon gar nicht vor dem Untersuchungsrichter, der sich die Leute nach und nach vorknöpft. Bei dem werkt eine Tipp-Mamsell, vor der sich der Chef so richtig als Macho aufführt.
Die Szenen sind rasch, filmartig verschnitten. Trotzdem: Was kommt und wie es kommt, das ist immer alles völlig klar bei dieser Ansammlung von Klischee-Menschen, die nichts als Stroh dreschen. Alle schon x-fach durchgekaut!
Gerhard Willert als Regisseur rettet wenig. Auf einer Show-Treppe lässt er spielen, der Bühnenraum ist leer, ein Sessel das einzige Requisit. Schreibmaschine, Telefone - da tut's pantomimische Andeutung. Die Protagonisten kommen von unten rauf zu ihren Szenen. Das wären Voraussetzungen, das Tempo zu steigern, vor allem in der Schlussszene, wenn plötzlich alle auf der Bühne sind und die Orts- und Zeitebenen ineinander kippen. Aber da ist das Ensemble nur mehr auf leidliche Pünktlichkeit der Wortmeldungen bedacht, und auch die Souffleuse hat den Mund voll zu tun. Längst ist aller Pfiff draußen.
Im Ensemble können sich nur Thomas Kasten und Silvia Glogner profilieren. Er gibt dem Pierre Delile ein gutes Maß an Zurückhaltung. Ihm glaubt man, wenn er schildert, dass er "wie ein Tier geworden ist ... man versteckt sich." Sie ist Pierres handfeste Frau, der man schon zutraut, dass sie ihn über schwierige Jahre hinwegträgt. Für die anderen stehen die Chancen schlecht: lauter Stereotype, die das zu Erwartende tun und sagen. Was soll man da viel machen? Der 83jährige Autor war zur Premiere da und wurde gefeiert ("Vor zwei Monaten an der Comédie Francaise, dann in Tokyo, jetzt in Linz!"), während der zunächst freundliche Beifall vertröpfelte.