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Das neue Salzburger Osterorchester

 REST DER WELT/LUZERN FESTIVAL

14/09/11 Christian Thielemann stellt in Luzern seine überragende Kompetenz in Sachen Bruckner mit dessen Achter Sinfonie unter Beweis und legt die Messlatte für die noch kommenden Bruckner-Interpretationen am spätsommerlichen Festival hoch.

VON OLIVER SCHNEIDER

Nachdem bereits zu Beginn des Luzerner Sommer Bruckners Fünfte mit dem Lucerne Festival Orchestra unter Claudio Abbado erklungen war, bietet die zweite Festivalhälfte nochmals die Möglichkeit, sich unterschiedliche Bruckner-Zugänge mit vier deutschen Top-Orchestern und ihren Chefdirigenten zu vergegenwärtigen. Den Beginn machte gleich im Anschluss an die Konzerte in Salzburg Sir Simon Rattle mit den Berlinern, die in der Neunten mehr auf einzelne Puzzleteile achteten als auf die Gesamtarchitektur.

Auch Christian Thielemann hat am Freitagabend mit seiner Staatskapelle bei der Achten genau gearbeitet, aber im Gegensatz zu Rattle dabei nie den Überblick verloren. Thielemann und Bruckner, das ist genauso wie Thielemann und Strauss oder Wagner: Sie gehören zusammen. Mit den berühmten Samthandschuhen nähert sich der zukünftige musikalische Leiter der Osterfestspiele dem flehenden ersten Thema des einleitenden Allegro moderato und reizt die dynamische Spannweite vor allem im Pianobereich in der Folge im Kopfsatz aus. Das gibt ihm Luft für die charakteristischen Steigerungen, schlicht exemplarisch vorgeführt in der mächtigen Schlusscoda des vierten Satzes, in der die Hauptthemen aller Sätze nochmals vereinigt werden. Unendlich fliesst die Musik bei Thielemann bis zu diesem abschliessenden Ausbruch dahin, ohne dass die Spannung einmal nachlassen würde. Da werden philologische Diskussionen nebensächlich, warum Thielemann – wie übrigens gewichtige seiner Kollegen auch – die Mischfassung von Haas dirigiert und nicht die Urfassung oder zweite Fassung von 1890.

Als Thielemann die Achte am Pult der Wiener oder Münchner Philharmoniker dirigierte, mögen ihm bessere Holz- und Blechbläser zur Verfügung gestanden haben. An der Qualität wird der neue Chef in Dresden arbeiten. Doch der samtig erdige Streicherklang, welcher der Staatskapelle eigen ist, war am Freitagabend in Luzern jeden Moment zu hören. So unnachahmlich spielen nur die Musiker aus Dresden.

Auf den nächsten Bruckner in der letzten Festivalwoche darf man gleichwohl gespannt sein: Am Donnerstag werden Riccardo Chailly und das Gewandhausorchester Leipzig die Sechste interpretieren, am Freitag schliesslich Daniel Barenboim und die Staatskapelle Berlin die Siebte.

In Salzburg oder Wien reisst man sich um Karten, um Christian Thielemanns Interpretationen zu lauschen. In Luzern hingegen blieben am Freitag einige Plätze frei, noch mehr im zweiten Konzert am Samstag, das programmatisch auf das Festivalthema „Nacht“ abgestimmt war. Aus den 1912/13 komponierten sechs Orchesterelegien von Ferruccio Busoni erklang das Nocturne symphonique. Busoni lässt keine laue, südliche Sommernacht erklingen, wie sie am Samstagabend in Luzern herrschte – ein bisschen fühlte man sich nach Venedig versetzt. Nein, Busonis Nacht ist schwül-heiss, dunkel und bedrohlich, gleichsam als ob ein Unwetter bevorstünde. Ein spannender Abstecher vom gängigen Repertoirepfad, bei dem die Dresdner Streicher wieder brillierten.

Ein Rätsel bleibt, warum als zweiter Programmpunkt gerade Pfitzners Konzert für Klavier und Orchester in Es-Dur erklingen musste. Es mag auch am Solisten, dem amerikanischen Pianisten Tzimon Barto, gelegen haben, dass man nicht recht warm wurde mit diesem an der romantischen Tradition anknüpfenden, aber schlussendlich zu wenig eigenständigen Werk. Barto spielte vom Blatt, tadellos, nicht mehr und nicht weniger. Wenigstens konnte man sich an der sensiblen Begleitung freuen. Aber nötig war dieser Abstecher in unbekanntere Gefilde nicht, genauso wenig wie Bartos Zugabe.

Notwendig war hingegen Brahms Erste nach der Pause. Hier haben vor allem die Holzbläser gezeigt, was sie können, und damit einiges wieder gut gemacht. Thielemanns Brahms mag eine gewisse Schwere anhaften. Warum auch nicht, aber er ist – genau wie sein Bruckner – voller Transparenz. Das Publikum jubelte, ohne eine Zugabe hätte es die Gäste aus Dresden nicht gehen lassen. Und da liess Thielemann es nochmals so richtig mit dem Vorspiel zum dritten Aufzug aus Wagners „Lohengrin“ krachen.

Wer übrigens nach Bruckners Achte noch nicht zur Ruhe kommen wollte, dem bot das Lucerne Festival im Rahmen der kleinen Reihe „Insomnia“ noch Interessantes. Teodoro Anzellotti interpretierte Bachs Goldberg-Variationen auf dem Akkordeon, von ihm selbst eingerichtet. Gemäss der Legende sollte Goldberg mit diesen Variationen dem Grafen Kaiserling am sächsischen Hof seine schlaflosen Nächte kürzer machen. Anzellotti fesselte seine Zuhörer  in der Matthäuskirche ebenso, auch wenn er den Variationen mit seinem Akkordeon vielleicht weniger Farben entlocken kann als ein Cembalist oder Pianist.

 

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