Ratte sich, wer kann!
BAYREUTHER FESTSPIELE / LOHENGRIN
26/07/10 In der Scheune des Grauens - unlogisch, provozierend, genialisch: Hans Neuenfels inszeniert Lohengrin in Bayreuth. Und für Kinder gibt's auch einen TannhäuserVon Jörn Florian Fuchs
Einen wirklich seltsamen Moment gab unmittelbar nach dieser Festspielpremiere. Als beim Applaus Hans Neuenfels der erwartbare Buhsturm entgegenbrandete, da standen plötzlich die Wagner-Schwestern vor dem Vorhang, nicht etwa um dem Regisseur ein paar Blümchen zu überreichen, sondern um offenkundig selbst Beifall einzuheimsen. Was sollte bitte das?
Auf der nachfolgenden Feier im Neuen Schloss zu Bayreuth dröhnte dann der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer über diverse Lautsprecher und ehrte die Künstler. Hernach stellte er als Überraschungsgast Kanzlerin Merkel vor. Selbige gratulierte ebenfalls, sie fände es toll, dass mit den beiden Wagners die Tradition nun "irgendwie" weitergehe …
Rückblende, zwölf Stunden vorher. Auf dem Presseempfang erklärt Neuenfels, wie absurd das eigentlich sei: der verrückte Komponist, ein debiler Monarch, das versudelte Dorf Bayreuth. Die Stimmung ist exzellent und sogar Eva Wagner-Pasquier, die sonst so schweigsame Intendantendame, sagt einige Worte.
Wenig später folgt dann die erste Premiere des Tages. Auf einer Probebühne probieren ein paar junge Musiker eine Kinderfassung des Tannhäuser (Idee: Katharina Wagner). Alles spielt im Internat, „Tanni“ wählt als beste Freundin ein Skatergirl und vernachlässigt dabei das adrette, wenngleich etwas dickliche Mädel aus der Nachbarklasse. Die skatende Venus lockt ihn mit grotesk hässlichem Spielzeug in ihre Falle, der er eineinviertel Stunden später jedoch entkommt und zur Strafe nach Rom muss, irgendwann kehrt er dann zurück und alles weitere bleibt offen. Leider ist die geraffte Opernversion weder kindertauglich noch Erwachsenen unterhaltend, es ist eine kurios gescheiterte Mischung aus allerlei und gar nichts und führt beim Publikum aller Altersstufen rasch zur Ermattung. Ein besonders gelangweiltes Kind fragte tatsächlich mitten in die Musik hinein: kommt denn heute Abend die Merkel?
Etwas später gibt es dann nochmals eine Art Kinderoper. Eigentlich ahnten wir es schon immer, das Festspielhaus ähnelt ja einer Scheune und zu einer solchen gehört unbedingt allerlei Getier. Hans Neuenfels lässt die romantische Oper Lohengrin in einem Labor spielen, es gibt weiße, schwarze und rosa Ratten, die sich manchmal in halbwegs ordentlich gekleidete Choristen verwandeln, nun ja, wenn man etwa schreiendes Gelb als ordentlich bezeichnet. Was war sonst noch geboten? Gleich mehrere Schwäne, darunter einer aus Gummi, ein weiterer, den die böse Ortrud niederringt und der sich wundersam wieder aufrichtet, und einer im schwarzen Sarg. Auch gibt es Laboranten, die von den Seiten in Reinhard von der Thannens meist klinisch weiß gehaltenen Raum hereinstürzten, mal züchtigen sie die Tierchen, mal scheint es umgekehrt.
Während der erste Aufzug noch mit diversen Verwandlungen der Nagetiere aufwartet (einmal hatben sie rot blinkende Augen, ein anderes Mal Gesichtsschleier), spielt der zweite Akt größtenteils vor einer schwarzen Kutsche, mit der Ortrud und Telramund offenbar verunglückten, nachdem sie zuvor die Brabanter Staatskasse geplündert hatten. Im dritten Aufzug verwandelt sich dann auch Telramund in eine (von Lohengrin getötete) Ratte, ein Film zeigt Ratten, die ein Gerippe mit Königskrone abnagen, Elsa trägt Schwarz und Lohengrin verabschiedet sich, nicht ohne zuvor einen Sarg mit riesigem Ei zu präsentieren, aus dem ein Embryowesen zwischen Mensch und – man ahnt es – Nagetier entschlüpft. Diesem Zwitter mögen nun die inzwischen wie (menschliche) Soldaten wirkenden Massen folgen...
Vieles in dieser Inszenierung passt nicht zusammen, etliches bleibt rätselhaft. Nicht immer wird das Beziehungsgeflecht der Figuren verstehbar, werden die Überlappungen der Ebenen, Wesen, Herrschaftsformen deutlich. Doch in allem (W)Irrsinn blitzen immer wieder fast mythische Bilder auf, die sich tief einprägen und lange nachwirken. Außerdem ist die ganze Rattenchoreographie von einer absolut umwerfenden Komik, dagegen setzt Neuenfels intensivste Momente, vor allem zwischen Elsa und Lohengrin im Brautgemach.
Und die Musik? Mit Jonas Kaufmann steht ein Heldentenor zur Verfügung, der zwar manchmal einen etwas gaumigen Anlauf nimmt, im Ganzen jedoch mit seinem vokalen Schmelz und Schmerz vollauf überzeugt. Annette Dasch bleibt als Elsa reichlich blass, forciert aber immerhin nicht. Ein Totalausfall ist Evelyn Herlitzius, die sich grobschlächtig durch die Partie brüllt. Auch Hans-Joachim Ketelsens Bariton ist hörbar in die Jahre gekommen, er rettet sich als Telramund öfters in grotesken Sprechgesang. Exzellent waren am Premierenabend Samuel Youn als Heerrufer und vor allem Georg Zeppenfeld als König Heinrich. Eberhard Friedrich steuerte die Chöre sicher durch die szenischen Herausforderungen.
Der junge Lette Andris Nelsons dirigiert sehr elegant, organisch, farbenreich, konnte aber leider einige Abstimmungsprobleme nicht verhindern. Ein Bayreuther Novum: erstmals sah man den Dirigenten einmal auch auf der Bühne, als Spiegelbild hinter Elsa - Nelsons wählte als Abendgarderobe ein weißes T-Shirt.