Das große Experiment in Sachen wahre Liebe
REST DER WELT / MÜNCHEN / OBERON
24/07/17An Puppen auf der Bühne ist man gewöhnt, wenn man in Bregenz Rossinis „Mosè in Egitto“ gesehen hat. In München, beim „Oberon“ im Prinzregententheater, der zweiten großen Opernpremiere der Bayerischen Staatsoper, sind sie aber weit größer. Der gegenwärtig allgegenwärtige Nikolaus Habjan ist jetzt dort am Werk.
Von Oliver Schneider
Habjan erzählt mit den Protagonisten und Stabmaulpuppen die dramaturgisch schwächelnde Versuchsanordnung des Elfenkönigspaars Oberon und Titania, die am Ritter Hüon von Bordeaux und der Kalifentochter Rezia erkunden wollen, ob es die wahre Liebe gibt.
Carl Maria von Weber komponierte das Werk 1824/5 für London, weshalb ihm James Robinson Planché ein Libretto nach damaligem Geschmack verfasste: ein Melodram, in dem sich Rühr- und Schauerszenen in rascher Folge ablösen. Grundlage bildet das Heldengedicht des Aufklärers Christoph Martin Wieland.
Die Frage, ob an der Geschichte etwas Aufklärerisches zu finden ist oder nicht, hat sich Habjan nicht gestellt. Ihn interessiert, wie man ein Märchen heute glaubhaft auf die Bühne bringen kann, ohne die Geschehnisse ins Lächerliche zu ziehen. Die Versuchsanordnung wird zur Rahmenhandlung und legt als Ausgangshandlungsort ein Labor fest. Habjan und Bühnenbildner Jakob Brossmann ließen sich dafür vom amerikanischen Verhaltensforscher Harry Harlow inspirieren. Für die Liebesexperimente suchen Oberon und Titania vier Probanden, die sie zum Teil im Zuschauerraum beim Hereinkommen des Publikums „finden“. Sie müssen in die Rollen von Hüon und Rezia bzw. deren Dienerin Fatime und Hüons Knappen Scherasmin schlüpfen und Teilexperimente bestehen. Dafür wird Puck geviertelt: Neben der Doppelrolle Titania/Puck führen drei Pucks die Klappmaulpuppen und spielen die alte Namuna (sehr witzig), den Prinzen Babekan, der von Hüon auf Befehl von Kaiser Karl erschlagen wird, den Kalifen und viele mehr. Oberon selbst greift als riesige Stabpuppe immer wieder ins Spiel ein, was auch seine Funktion als Spielleiter ausmacht.
Was im ersten Teil noch persiflierend und klamaukig wirkt, entfaltet im zweiten Teil seinen vollen Reiz, denn die Puppen haben etwas Menschliches an sich, berühren und zwingen die Sängerinnen und Sänger, sich ebenfalls stark schauspielerisch zu exponieren. Das gelingt vor allem den beidem Damen, Annette Dasch und Rachael Wilson als Fatime, ausgezeichnet. Menschen und Puppen spielen in einer vom Barocktheater inspirierten Illusionswelt, die das Märchenhafte unterstützt (Kostüme: Denise Heschl). Von Bagdad und später Tunis werden die Silhouetten scherenschnittartig angedeutet. In der Meermädchenszene im Finale des zweiten Akts versetzt Brossmann das Publikum in eine zauberhafte Unterwasserszenerie mit schwimmenden Fischen im Hintergrund, nachdem die vier Liebenden aus Bagdad mit dem Schiff nach Europa gereist, auf eine einsame Insel verschlagen und von Seeräubern überwältigt worden sind. Genauso wenn Rezia zu ihrer undankbar schweren Ozean-Arie die Wellenkulissen kräftig mitbewegt. Die Dasch meistert die Klippen dieser Arie im Übrigen mit Bravour und kommt nur ganz am Ende an ihre dramatischen Grenzen. Aber das ging auch Vorgängerinnen in der Partie so.
Die umfangreichen, verschwurbelten Texte sind auf ein erträgliches Maß zusammengestrichen, einige Nummern wurden umgestellt, um dem Werk mehr dramaturgische Stringenz zu geben. So startet der Abend nicht mit der Ouvertüre, sondern mit der Feen-Introduktion im Labor. Ivor Bolton und das Bayerische Staatsorchester greifen energisch und mit guter Klangbalance zu und werden dem Werk damit in hervorragender Weise gerecht. Ebenso engagiert agiert der von Sören Eckhoff vorbereitete Extrachor der Bayerischen Staatsoper.
Neben der exzellenten Annette Dasch gibt Brenden Gunnell einen lyrisch fundierten, heldischen Hüon. Rachael Wilson bringt sich szenisch und vokal als Fatime überzeugend ein. Die Überraschung bietet Opernstudiomitglied Johannes Kammler als Scherasmin, der mit seinem warmstimmigen und raumfüllenden Bariton punktet. Julian Prégardien als liedgeschulter lyrischer Tenor ist eine ideale Besetzung für den Elfenkönig. Mit der jungen Mezzosopranistin Alyona Abramowa als Titania/Puck nutzt schließlich ein weiteres Opernstudiomitglied, sich sängerisch in ein gutes Licht zu rücken.