Flügelkämpfe im Schwurgericht
REST DER WELT / BAYREUTH / DIE MEISTERSINGER
26/07/17 Die Erwartungen waren ebenso hoch wie schrill. In zahllosen Interviews hatte Barrie Kosky erklärt, welche Schwierigkeiten er mit den „Meistersingern“ habe und dass Richard Wagner zwar durchaus begabt, jedoch ein veritables „Arschloch“ sei .Wenn man dann noch die letzten Arbeiten des jüdischen Australiers an der Berliner Komischen Oper kennt (dort ist er Intendant) – schrille, schwule Revueelemente und hitzige Personenführung – geht man doch mit einiger Skepsis ins Bayreuther Festspielhaus.
Von Jörn Florian Fuchs
Erfreulicherweise waren alle Sorgen unbegründet. Kosky inszeniert das Stück als durchaus zünftiges Spektakel, die Meister tragen geradezu hysterisch historische Kostüme mit Puffärmeln und luftig lustigen Hosen. Brillant ist die Personenführung, da friert das ganze Gekasper zeitweise auch mal ein und die turbulente Masse wartet geduldig ein paar Sekunden, um dann um so wilder weiter zu agieren.
Zum Vorspiel und während des ersten Aufzugs sind wir in der Villa Wahnfried, dem Rückzugsort der Familie Wagner, dreißig Fußminuten vom Festspielhaus entfernt. Dort gibt es eine Meistersinger-Privataufführung, Wagner selbst tritt auf, auch Franz Liszt ist dabei, die beiden streiten liebevoll am Konzerflügel um die richtige Melodie. Mit von der Partie ist auch der jüdische Dirigent Hermann Levi. Selbigen versuch(t)en Wagner und seine zweite Frau Cosima erfolglos zu christianisieren. Levi entpuppt sich bald als Sixtus Beckmesser, der Antiheld der Oper, vom Komponisten durchaus als jüdische Karikatur gezeichnet. Kosky zeigt ihn als zerrissenen Menschen zwischen Wagner-Verehrung und Selbsthass. Einmal verfolgen ihn kleinwüchsige Juden, im zweiten Aufzug erscheint ein riesiger Ballon mit Judenfratze.
Cosima Wagner ist Eva, die von Beckmesser und dem (am Ende siegreichen) Sangesritter Stolzing begehrte Maid. Doch die konkrete Zuordnung der Figuren wird nicht konsequent durchgezogen, bewusst hält Kosky manche Dinge in der Schwebe. Später taucht der Schwurgerichtssaal aus den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen auf, dort findet unter anderem der finale Sängerwettstreit statt. Dadurch entsteht eine Art Umcodierung dieses Raumes und seiner Geschichte, wunderbar spielt die Inszenierung mit den Ebenen, überhaupt herrscht den ganzen Abend über eine zarte Leichtigkeit vor, trotzdem bleiben Ernst, Tragik und menschliche Tragödie nicht auf der Strecke – eine Meistersinger-Fantasie mit reichlichen Assoziationsangeboten ist das. Sachs' problematische, nationalistische Schlussansprache hält dieser zunächst ganz allein, dann kommt ein ganzes (stummes) Orchester nebst (singendem) Chor herangefahren. Klassik und Hochkultur als deutsche Kunst, darauf muss man kommen!
Michael Volles Hans Sachs und Johannes Martin Kränzles Beckmesser liefern sich fantastische vokale und 'reale' Duelle, Klaus Florian Vogt überzeugt mit seinem samtweichen, freilich etwas eindimensionalem Tenor als Walther von Stolzing. Bariton Daniel Schmutzhard setzt in der nicht sehr großen, aber anspruchsvollen Partie des Fritz Kothner kräftige Akzente, Daniel Behle ist ein fein timbrierter David. Im insgesamt hervorragend besetzten Ensemble enttäuscht lediglich Anne Schwanewilms als Eva, die Stimme klingt zu kühl und wirkt auch etwas ungelenk. Atemberaubend tönen die von Eberhard Friedrich einstudierten Chöre.
Einen Schwachpunkt hat diese Premiere jedoch. Philippe Jordan bietet am Pult des Festspielorchesters eine reichlich heterogene Deutung, mit teilweise merkwürdigen Generalpausen und manchen instrumentalen Soli, die eigentlich Teil des von Wagner konzipierten Gesamtklangs sein sollten. Auch die Koordination mit den Sängern ist bisweilen etwas holprig. Im nächsten Jahr mag das besser werden. Aber da wird ein anderer im Zentrum des Interesses stehen: Plácido Domingo wird drei Aufführungen der „Walküre“ leiten...