Zwei Barden – zwei Welten
REST DER WELT / MÜNCHEN / OPERNFESTSPIELE
19/07/17 Sieben Liederabende leisten sich die Münchner Opernfestspiele 2017. Nicht alle waren ausverkauft. Der von Christian Gerhaher war`s, der von Simon Keenlyside nicht. Beide Weltklasse-Baritone trafen an zwei Festspielabenden direkt aufeinander, erst Gerhaher im Nationaltheater, dann der britische Kollege im Prinzregententheater.
Von Hans Gärtner
Gerhaher brachte außer seinem Leib-Pianisten Gerold Huber Ulrich Tukur als Vorleser mit, Keenlyside machte es nicht ohne den Zusatz „& Band“.
Im also total gefüllten Nationaltheater das mit 15 langen Romanzen durchwirkte, von Johannes Brahms als op. 33 vertonte altfranzösische Liebesdrama „Die schöne Magelone“ in der Fassung von Ludwig Tieck mit dem bayrischen Sänger. Nie würde er, Gerhaher, dieses Werk singen, hatte er vor sieben Jahren erklärt, es sei denn… – und Martin Walser war sich, welch Wunder, als Dichter von, wie es im Programmheft heißt, „Zwischentexten“ zum sentimentalen Märchen um die Liebe des Grafen Peter von Provence zur neapolitanischen Prinzessin Magelone nicht zu schade. 2011 war das eingeschworene Duo Gerhaher/Huber, gebürtig aus Straubing und unzertrennlich seit der Gymnasialzeit, mit seiner pointierten Secco-Deutung des zu Herzen gehenden Stoffes von Coburg aus über Frankfurt bis Brüssel und Luxemburg unterwegs. Die Reprise fürs Opernfestspielpublikum im verwöhnten München kam so gut an wie seinerzeit. Ulrich Tukur ersetzte den Urheber der herrlich mit seiner „natürlichen“ Ironie mit Verve und Chuspe. In manch kleiner Geste glich er Walser sogar auf den Punkt.
Doch auch der Sänger hatte nicht nur zu tönen, sondern auch zu sprechen, nämlich die insgesamt 14 Strophen von „Süß ist`s mit Gedanken geh`n“ und „Beglückt, wer vom Getümmel …“. Da musste man denken: Mensch, das kann der Gerhaher auch. Fast besser als der gewiefte Tukur. Ein Literat, dieser Gerhaher. Und ein – wer kennt ihn anders? – beinahe verkniffen radikal ins Wortdetail gehender Dramatiker der deutschen Wortgebilde obendrein. Er hielt sich, auf Händen getragen vom fein reagierenden und fabelhaft initiierenden Mann am Pianoforte, an die Zwischen-„Töne“ der Tieck/Walser-Geschichte, nein: Er lieferte eine eigene, sprich: eigenwillige, stets glasklar, oft hart und dunkel-abgründig gefärbte Diktion. Gerhaher/Hubers Welt: Romantik mit Ironie gewürzt.
Die Ironie ist beim Kollegen Keenlyside nicht zu finden. Sie wird wettgemacht durch zähe Zuversicht des burschikosen Londoners in die Musik des Amerika und amerikazugewandten Ungarn (Emmerich Kalman) des ersten 20. Jahrhundert-Drittels, eines Kurt Weill. Viele Namen sind weitgehend in Vergessenheit geraten, die Keenlyside prägten und an die er erinnerte, etwa Frederick Loewe. Dann natürlich Duke Ellington, die Gershwins, und nicht zu vergessen Cole Porter und Richard Rogers. Ihr Sänger wäre, zur Not, durchaus austauschbar, dessen Band ist es partout nicht. Ihr Sound ist, auf erregende Art, superb: Matthew Regan am Klavier, Gordon Campbells Posaune, Howard McGill mit vier Blasröhren, Mike Smith am Schlagzeug und Richard Pryce am Kontrabass. So dicke Nostalgie. So noisy, so loud, so – sexy. Das trifft übrigens auch auf hansome Keenlyside zu. Stimme und Attitüde haben Aufregendes zu bieten. Wär der Mann nur gelassener geblieben und hätte er sich das nervöse Hosentaschengesuche gespart, wäre er nur für ein paar Momente ruhig stehen geblieben vor seinem ohnehin mobilen Mikro.
Ein Wunder, dass beim Ansichtig-werden der roten Ein-Zentimeter-Hosenträger über dem weißen Hemd nicht der ganze Prinzregententheatersaal losjohlte und pfiff. Aber das lag wohl daran, dass das Liederabend- (besser wohl: Song-Evening-)Publikum doch nicht aus Teenies bestand, auch nicht aus Mittdreißigern. Dieser Altersklasse gehört Keenlyside schon lange nicht mehr an, auch wenn es uns das Staatsopern-Werbe-Plakat nahelegen möchte. Ein großer alter Junge ist der Brite allerdings noch immer: ein blendender Entertainer, der hin und da in Operngestus von gestern verfällt, ansonsten aber ohne dandyhaftes Gebaren verführerisch geblieben ist – wie Don Giovanni oder Almaviva.