Slawische Seele und starke Akzente
WIENER SAAL / PAVEL HAAS QUARTETT
22/04/10 Das junge Pavel Haas Quartett aus Tschechien spielt schon in der ersten Liga der Streichquartette. Kein Wunder, wenn sich soviel Musizierfreude mit so viel Präzision, Brillanz und Gestaltungswillen trifft.Von Gottfried Franz Kasparek
Die Geigerinnen Veronika Jaruskova und Eva Karova, der Bratscher Pavel Nikl und der Cellist Peter Jarusek begannen ihr ambitioniertes Programm am Dienstag (20.4.) im wohl gefüllten Wiener Saal mit den drei Divertimenti Benjamin Brittens, dessen beeindruckendes Streichquartett-Oeuvre ja hierzulande leider immer noch selten zu hören ist. Im Gegensatz zu den späten, tragisch grundierten Quartetten des großen Briten sind die frühen Divertimenti lockere Unterhaltung mit schrägem Pfiff und avantgardistischem Pfeffer. Wenn das noch dazu so pointiert und virtuos gespielt wird wie diesmal, möchte man manchem Jünger der strengen Neuen Musik ein reinigendes Bad in Klängen des jungen Britten dringend empfehlen.
Ein im Ausdruck stark kontrastierender und dennoch in der Kunst der melodischen Formulierung verwandter Zugriff war jener des Dmitrij Schostakowitsch. Sein 10. Streichquartett aus dem Jahre 1964 ist in seiner fassungslosen, oft mehr gestammelten als gesungenen Trauer, der schaurigen Brutalität des Scherzos und seinem dunklen Fatalismus ein erschütterndes Dokument der Sowjet-Ära. Das Pavel Haas Quartett interpretierte das schwierige Stück mit gebührender Tiefenschärfe, exakt austariertem Tempo und genau dem richtigen Maß an introvertiertem Gefühl; unter Vermeidung der Gefahr, dass die oft manische Wiederholung thematischer Partikel zu monochrom wird. Jede Phrase ergab ihren Sinn.
Nach der Pause erklang Antonin Dvo?áks G-Dur-Quartett op. 106, im Gegensatz zum populären „Amerikanischen“ auch nicht gerade ein Stammgast in den Konzertsälen fern der Moldau. Dabei wetterleuchten in dieser rhetorisch aufgeladenen Musik bereits die Quartette Janá?eks, ohne dass die unwiderstehlichen Melodien Dvo?áks dabei ins Hintertreffen gerieten. Besonders der zweite Satz mit seinen Klanginseln von fast Schubert’scher Doppelbödigkeit ist ganz große Musik - und der Urgewalt des Volksmusik-Scherzos und des Furiant-Finales kann man sich schon gar nicht entziehen. Das böhmische Quartett hatte dafür natürlich eine Menge inniger Verbundenheit und slawischer Seele aufzubieten. Was die Interpretation aber großartig machte, war die kraftvolle und exakt austarierte Nuancierung, jegliche Sentimentalität vermeidend. Besser und stimmiger kann man Dvo?ák nicht spielen.
Lang anhaltender Publikumsjubel, der mit einem charmanten Dvo?ák-Walzer belohnt wurde.