Keine Balaika, wirklich nicht!
CD-KRITIK / HUMMEL / SONATEN
31/12/15 Keine Schande, bei „Allegro con garbo“ zum Fachwörterbuch zu greifen. Mit Charme, mit Anmut meint die rare Tempovorschrift. Beides müsste man bei den Flötensonaten von Johann Nepomuk Hummel (1778-1837) aber eigentlich nicht erst drüberschreiben: Der Charme dieser Musik ist umwerfend.
Von Reinhard Kriechbaum
Wirklich im Ohr hat man ja leider nur ein Werk von Hummel – das dafür kennt jeder Musikfreund: sein Trompetenkonzert. Es ist insofern untypisch, als Hummel einer der prominenten Klaviervirtuosen seiner Zeit war, unter den Pianisten-Konkurrenten von Beethoven einer der wirklich ernst zu nehmenden (auch wenn die beiden miteinander durchaus amikalen Umgang pflegten). Durchaus auffällig, dass Hummel noch weit im 19. Jahrhundert seine beiden großen Flötensonaten D-Dur op 50 und A-Dur op. 64 als solche „pour le pianoforte aven accompagnement“ des jeweiligen Musikinstruments, der Querflöte oder Geige, bezeichnet. War das nicht ein Zugang in der Urzeit der Duo-Sonate, beim frühen Mozart etwa?
Die Erklärung mag sein, dass Hummel, der wie viele seiner Zeitgenossen den entstehenden „bürgerlichen“ Hausmusikmarkt produktiv bediente, bei der Bezeichnung durchaus auf seine hohe Prominenz als Tastentiger schielte. Und natürlich spielt mit, dass Hummels pianistische Kompetenz unmittelbar auch den Flötensonaten abzulesen ist: Da braucht es schon einen einfallsreichen und mit den Klangoptionen des Hammerklaviers inspiriert umgehenden Spieler. Ein solcher ist Bart van Oort, der in dieser Aufnahme mit Referenzcharakter auf einem Hammerklavier von 1830 spielt.
Seine starke Partnerin ist Linde Brunnmayr-Tutz, die sich von der durchaus gegebenen Klavier-Dominanz nicht unterkriegen lässt. Von ihrem Mann Rudolf Tutz hat sie sich einen achtklappigen Prototypen der Epoche hat nachbauen lassen. Es ging damals darum, den Klang der Traversflöte durch Klappenmechanismen (indem man also auf Gabelgriffe möglichst verzichtete) dem Zeitgeschmack anzupassen: Ebenmäßig sollte er sein, aber es ist natürlich noch ein „echter“ Traversflöten-Ton und nicht jener der in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts perfektionierten Böhm-Flöte.
Dieses Instrument also ist Hummels Flötenmusik eingeschrieben. Im Verein mit Bart von Oort setzt Linde Brunnmayr-Tutz gerade auf eine der Eigenarten Hummel'scher Erfindung: Markige Themen kippen unvermittelt hinüber in einschmeichelnde Wendungen. Griffig-Heroisches oft, sofort beantwortet mit Lyrik, die dem bürgerlichen Zielgruppenpublikum wohl besonders in den Ohren schmeichelte.
Das gilt ganz ähnlich für die Charaktervariationen „Alla Monferina“ für Violoncello und Klavier, in denen Jaap ter Linden exemplarisch vorführt, wie hoch technischer Standard und gestalterische Möglichkeiten damals gewesen sein müssen. Auch dieses Stück mit beachtlichen siebzehn Minuten Spieldauer und ansehnlichem emotionalem Auf und Ab ist wohl für den bürgerlichen Salon und nicht für konzertierende Verwendung gedacht gewesen.
In einem weiteren, überaus effektsicheren Variationenwerk begegnen einander Traversflöte, Violoncello und Klavier: Adagio, Variationen und Rondo über ein russisches Thema A-Dur op.78. Wie werden die Ohren der Zeitgenossen die Ohren gespitzt haben, wenn in einer der langsamen Variationen das Hammerklavier plötzlich mit Tonrepetitionen die Spieltechnik auf einer Balalaika heraufbeschwört!
Natürlich tun die Ausführenden alles, um solche Originalitäten herauszustellen, aber das alleine ist's nicht. Die auf dieser CD vereinten Stücke weisen Johann Nepomuk Hummel, der als großherzoglicher Kapellmeister in Weimar zum engsten Freundeskreis um Goethe zählte, wieder einmal als einen deutlich unter seinem Wert gehandelten Komponisten aus.