Kuhscheiße, Abschied und Überwindung des Nationalismus
RAURISTER LITERATURTAGE 5
31/03/14 „Alles, was Rauris ist“ war der Samstag der Rauriser Literaturtage 2014: Den Besuchern wurde ein abwechslungsreiches Programm aus Kindheitserfahrungen, lyrischen Reflexionen und kritischen Auseinandersetzungen zum Generalthema „Kapital.Gesellschaft“ geboten.
Von Eva-Maria Draxlbauer, Richard Preletzer, Katharina Scharinger
Der Vormittag begann mit dem traditionell von Brita Steinwendtner moderierten „Gespräch über Kindheit“. Geladen waren Andrea Grill, Tanja Maljartschuk und Robert Menasse. Im Zentrum des Gesprächs standen die Fragen, ob wir von unserer Kindheit geprägt und ob die Erinnerungen an die Kindheit zuverlässig sind. Die unterschiedliche Herkunft dieser drei Autoren und Autorinnen prägte natürlich auch die Erinnerungen an ihre Kindheiten.
So waren es etwa bei Tanja Maljartschuk der Geruch an Kuhscheiße und das ständige Gefühl hungrig zu sein – trotz der Tragik unvorstellbar humorvoll erzählt – und bei Robert Menasse die idealisierte Darstellung der tagefüllenden Kaffeehausbesuche mit seinem Großvater, die sich im Gedächtnis der erwachsenen Autoren manifestiert hatten. Auch Andrea Grill hatte vor allem an ihre Großmutter positive Erinnerungen: Ihr verdanke sie immerhin das Schreiben, so die Autorin.
Das aufschlussreiche Gespräch wurde von einer traurigen Nachricht überschattet: Brita Steinwendtner erklärte – beim Publikum große Betroffenheit auslösend - dass dies das letzte von ihre geleitete „Gespräch über Kindheit“ gewesen sei. Mit den Worten „Man muss auch irgendwann einmal aufhören“ verabschiedete sie sich von der Literaturgemeinde. Die beinahe entsetzte Reaktion des Publikums verdeutlichte die Wichtigkeit der Literatin für die Rauriser Literaturtage.
Der Samstagnachmittag stand ganz im Zeichen der Lyrik. Neben Andrea Grill und Sabine Gruber war es vor allem Fiston Mwanza Mujila - 1981 in Lubumbashi/Kongo geboren, lebt in Graz - der das Publikum begeisterte und den am längsten anhaltenden Applaus der gesamten Rauriser Literaturtage erhielt. Seine Dichtung, die von Michael Kolnberger ins Deutsche übersetzt vorgetragen wurde, behandelt vor allem die tragischen Schicksale des Kongo-Flusses, die Diktatur in seiner Heimat sowie die Einsamkeit und das Exil. Besonders herausragend und mitreißend war die energiegeladene Vortragsweise, die zwischen Gesang, Geschrei und Rap wechselte.
„Es gibt keine moralische Rechtfertigung für übermäßigen Reichtum.“ Mit diesen Worten regte Ilija Trojanow das Abendpublikum zum Nachdenken an. Sein Werk „Der überflüssige Mensch“ zeigt eindringlich, wie der „Mensch als solcher“ in einem System, das nur auf Profit ausgerichtet ist, in den Hintergrund gedrängt wird. Jeder, der diesem System zur Last fällt, wird als überflüssig erachtet.
Als Verfechter der zunehmend in Verruf geratenen Europäischen Union trat Robert Menasse auf: Er las aus seiner Streitschrift für Europa „Der europäische Landbote“. Das anschließende Gespräch endete mit einem regelrechten Plädoyer für das Projekt Europa: „Nur die Überwindung des Nationalismus kann ein zweites Ausschwitz verhindern.“