Von Nichts und von Honig zu erzählen
BUCHBESPRECHUNG / WATERHOUSE
22/04/11 „Das ist ein langsames Buch, das zunächst gar nicht geschrieben werden wollte, dann aber ungezwungen hergeleitet, Seite um Seite entstanden ist.“ Wofür die Sprache geeignet ist? Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch die Erzählung „Der Honigverkäufer im Palastgarten und das Auditorium Maximum“ von Peter Waterhouse.
Von David Christopher Pernkopf
Der Text sei eine macchina pigra, eine faule und langsame Maschine, stellt Umberto Eco in seinem vielleicht entscheidenden Werk zur Textinterpretation aus der Sicht der Semiotik „Lector in fabula“ fest. Der Text sei eine faule und langsame Maschine - diese Annahme bestätigt sich bei der Lektüre des jüngsten Prosatextes von Peter Waterhouse „Der Honigverkäufer im Palastgarten und das Auditorium Maximum“.
Der rezeptionsästhetische Eindruck ist aber durch eine produktionsästhetische Maxime gedeckt: „Das ist ein langsames Buch, das zunächst gar nicht geschrieben werden wollte, dann aber ungezwungen hergeleitet, Seite um Seite entstanden ist.“ Und: „Ich wollte erzählen, aber Erzählen faßte ich als nichts Bestimmtes erzählen, nichts Betreffendes erzählen.“ Der Ich-Erzähler durchschreitet eine Welt, die ganz Sprache ist, weil sie seine Gedankenwelt darstellt. Er spricht von einer Geschichte, die er gar nicht erzählen möchte, weil es ihm nicht um die Geschichte geht, sondern um das Erzählen selbst.
Alles beginnt mit einer Einladung an den Ich-Erzähler über einen Tiroler Wanderweg zu schreiben und endet nach einem poetischen Assoziations- und Reflexionsmarathon, bei den Studierendprotesten von 2009 und dem Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche.
Diesmal haben die Herausgeber gut daran getan, den Text nicht mit dem überstrapazierten Begriff „Roman“ zu etikettieren: Der Leser hat es mit einem prosaischen Spaziergang ohne Anfang und ohne Ziel zu tun. Es ist eine Assoziationsprosa, die sich Motive sucht, diese umspielt, antastet und im entscheidenden Moment stehen bleibt, das Motiv verlässt und zum neuen Gedanken eilt, um ein ähnliches Spiel zu treiben. Womit auch die Frage nach dem Titel einigermaßen geklärt scheint.
Die Motive variieren, doch sind ihre Bezugsfelder zuordenbar: Es sind Leseassoziationen eines lesenden Erzählers - englische Autoren wie Dickens, Shakespeare oder Chesterton. Anhand dieser Dichterassoziationen, die durch das Nennen von Textstellen evoziert werden, entstehen neue Assoziationen, die um Übersetzungsmöglichkeiten und Übersetzungsprobleme dieser Stellen kreisen. Es sind intelligente Assoziationen, die mit Topoi wie Traum, Liebe und dem Entdecken von Welt und Wirklichkeit gemacht werden. Und: Es sind alltägliche Begriffe wie Gesicht, Stadtrand, Volkschule oder Honig, an denen sich das spekulative Nachdenken eines Ich-Erzählers entfacht, das sich an der großen Aufgabe „Sprache, in die Wirklichkeit“ zu übersetzten versucht:
„Hatte der Brief ein Wie, das so war wie alle Gegenstände in der Wohnung, das wie die Türen war, wie die Betten war, wie alle Bücher war, wie der IPod war, vielleicht sinnlich nicht ähnlich war, zum Beispiel mit dem zartgrünen MP3-Player nicht zu vergleichen war, aber doch wie war? Nicht einzeln, nicht neu war, nicht hinzugekommen und angekommen war (…), nicht neu war, auch nicht alt, sondern unsichtbar gleich und vielleicht ewig? Der Brief war wie alles andere in der Wohnung und der Freund ging und stand in den Buchstaben.“
Das sind große Worte, die aber sehr gut klingen und damit ist ein entscheidendes Lektüreparadox angesprochen: Man liest und liest und fragt sich, warum man noch immer liest. Man überliest und plötzlich stößt man auf eine Fragestellung, eine Formulierung, die berührt, die „hängen“ bleibt und den müde gewordenen Leser erfrischt: „Warum baten die Nachrichtensprecherinnen und die Sprecher um Verzeihung jedes Mal, wenn sie sich versprachen, sogar wenn sie gehustet hatten oder sich räuspern müssen? Weil alle Nachrichten alles Hintergründige wegstreichen sollten…“
Es macht Freude sie zu lesen. Auch wenn sich dieses spekulative Schreiben meist ins Nichts versteigt, bleibt es Literatur. Oder vielleicht eben darum. Die Formulierungskraft gewinnt, je weiter sich der Text von einer Aussage entfernt, je weiter der Inhalt nebensächlich bzw. unverständlich wird. Doch ganz will sich der Autor auch nicht um eine Aussage drücken und meist rettet er sich damit, den Text in einer Frage oder dem Begriff des Nichtseins aufzulösen.
Wollte man für diese Textstrategien eine Beschreibung finden, müsste man wohl von einer Interrogativpoetik und einer negativen Literatur sprechen. Wie in seinem ganzen Werk deutlich wird, ist für Waterhouse das Stellen von Fragen wichtiger als das Antwortgeben. Diese Absicht schießt aber manchmal über das Ziel hinaus und lässt das intelligente Spiel des Fragens in seiner eigenen Karikatur enden: „Warum auf die Frage warum antworten? Wie auf Warum antworten? Wußte ich eine Antwort? Ich sah etwas, daß ich nicht sah – ich sah die Bücher und in den Büchern sah ich etwas? Etwas Zukünftiges? Etwas Unbekanntes? Etwas Neues? Vielleicht eine alten Mann?“
Natürlich ist dieser Ausschnitt dem Erzählkontext enthoben, doch wirken lange Passagen diese Fragestellens tatsächlich so, als würde eine Frage an die nächste gereiht nur der Assoziationskraft wegen. Ähnlich verhält es sich mit der genannten Strategie der negativen Poetik. Dieses Textverfahren, Aussagen über etwas zu verwerfen und in ihre Negation zu überführen, ist nicht in einem wertenden Sinn gemeint, sondern muss als Lösungsweg des Textes aus einer spekulativen Formulierungsaporie verstanden werden, gemäß der Frage: Was bleibt über, wenn nichts zu verstehen ist: Nichts.
„Und ich sah immerzu etwas, aber – nicht nichts. Und im Zuhören und Nichtverstehen des Kinyarwanda (…) dachte ich, daß Lieben wie Nichts-Lieben sei…“ Das Unsichtbare, das Fehlende, das Ausgesparte, die Leerstelle, das Nichtsprechen und Nichtsein interessieren den Ich-Erzähler, der die Dinge finden will, „von welchen der Roman nicht erzählte“. Er versucht dem auf die Spur zu kommen. Versucht dies aber immer mit derselben Technik. Damit ist aber das spannende und zugleich beeindruckende Ziel, der Leestelle in Text und Welt auf die Spur zu kommen, nicht eingelöst, sondern in eine etwas platt und abgeschmackt wirkende Verneinung der Dinge aufgelöst.
Denn das Wesen positiver (im Sinne von existierenden) Beobachtungen über Welt und Mensch ist nicht in der bloßen Frage nach ihrer entgegengesetzten Bestimmung zu erklären. Es scheint eher, als wolle sich der Ich-Erzähler auf elegante und etwas geheimnisvoll wirkende Weise interessant machen: „Konnte ein jeder sein und nicht sein? Konnte ein jeder be und zugleich not be? A oder B sein – und das hatte nichts mit Schönheit zu tun? Ereignete sich Schönheit nämlich nicht? Gab es sie nämlich nicht?“
Dass es dem Text jedoch um nichts gehe, ist eine unintelligente vorschnelle Unterstellung. Vielmehr müsste man mit dem Ich-Erzähler die Frage stellen: „Was erzählen, wenn dabei die Wortlosigkeit im Spiel bleiben sollte?“ Damit ist das Stichwort gegeben: Es bleibt eine poetische Reflexion über Sprache, über Schrift und - vor allem - über das Erzählen.
Die selbstreferentiellen und poetologischen Passagen im Text sind von besonderem Interesse, sodass man auch sagen kann: Hier wird eine Theorie des Erzählens entwickelt, die bei der Frage beginnt, wer überhaupt erzähle und welchen Nutzen das Erzählen habe? Am Beispiel vom Erzählen über Ereignisse in einer Volksschule im Zusammenhang mit den Studierendenprotesten lässt Waterhouse ein Autorenkonzept erahnen: „Wer erzählte, was eine Schule war? Erzählten die da schliefen, was eine Schule war? (…) Erzählten die Schlafenden und alle die, die am Tag die Salatköpfe, die Brotlaibe und Bohrmaschinen in das Haus trugen?“
Eine Funktion des Erzählers kann so in einer Vermittlerrolle des Beobachteten gesehen werden. Eine Neigung zu diesem Erzählkonzept zeigt der Ich-Erzähler auch dort, wo er sich fragt, ob nicht die eigentliche Gabe des Erzählens im Zuhören liegt. Er also nur Medium ist von Gehörtem. In dieser Logik versteht sich die poetologische Frage nach dem Erzähler dann von selbst.
Wofür die Sprache geeignet sei, diese Frage durchzieht den Text gleich einem roten Faden: „Aber es war mir die ganze Zeit so erschienen (…), daß die Sprache besser geeignet ist für das Zaudern und das Nicht-Sprechen als für ihren dauernden Gebrauch in Reden und Rettungen der Zukunft der Welt.“ Darin drückt sich eine eindeutige Sprachskepsis aus, die der Sprache nicht mehr viel zutraut, die aber zugleich eine Doppelmoral vermuten lässt. Denn für den dauernden Gebrauch der Sprache zur Beförderung des Textes scheint sie sehr wohl geeignet. All die Rede vom Nicht-Sprechen wird durch eine permanente Rede über das Nicht-Sprechen eigentlich nicht eingelöst. Aber - und damit kratzt der Text auch hier die Kurve - zum Erzählen ist die Sprache geeignet, ist sich der Ich-Erzähler sicher. Dieses Erzählen solle jedoch beiläufig, ungezwungen und ohne Aufwand passieren, „nur jene alltägliche, ziellose und wunschlose Mühe“ machen.
Das ist die Stärke aber auch zugleich die Schwäche des Textes, weil die ziellose Mühe des Erzählens zwar die Autorlust am Erzählen befriedigt, die Leselust aber manchmal doch sehr einschränkt. Alles durch und in der Sprache zu lösen: Das ist die Sehnsucht des Dichters, dem die zeitweilige Sehnsucht des Lesers nach der großen Erzählung oft entgegensteht.