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Die Wörter blockieren den Durchlass

BUCHBESPRECHUNG / ABRAHAM / DER LEUCHTTURM

20/04/11 Ein Ich-Erzähler arbeitet als Leuchtturmwärter drei Jahre über in der Bretagne nahe Finistère. Was er denkt, fühlt und tut, versucht er niederzuschreiben. Schon der Name des Orts, in dessen Nähe der Leuchtturm liegt, öffnet eine von vielen Deutungsebenen des Buches: Finistère, Weltende. Zwischen literarischer Einsiedelei und Seemannsromantik  changiert Jean-Pierre Abrahams Seestück „Der Leuchtturm“.

Von David Christopher Pernkopf

Finistère, Weltende - der Name allein legt einen apokalyptischen Grundton in die Erzählung. Ein Grundton, der sich mit einem seltsamen Einsamkeitspathos paart und für die Stimmung der Aufzeichnungen bestimmend wird.

Das Leben des Ich-Erzählers spielt sich ab zwischen einsamen  schlaflosen Nächten, und Tagen, an denen er sich wünscht, sie seien schon vergangenen. Der Ich-Erzähler erlebt sich in einer Abfolge von perpetuierenden Arbeiten, chronischem Nahrungsmangel, Beziehungsproblemen mit seinem Arbeitskollegen Martin und autistischen Rückzugstendenzen. Es ist ein nach außen hin ereignisloses Leben: Der Alltag besteht aus den immer gleichen Arbeitsritualen, die einer mönchischen Ordnung der Tage gleichen – das Aufwühlende ereignet sich jedoch in den Figuren. Die ständige Bedrohung durch das Meer, die Natur und die Abgründe menschlicher Existenz, die sich angesichts solcher Bedrängungen und der allgegenwärtigen Einsamkeit auftun, machen das Leben auf diesem Leuchtturm zur buchstäblichen Existenz in extremis.

Damit klingt schon eine existenzialistische Lektüremöglichkeit an. Jean-Pierre Abraham schreibt den Text im Frankreich der 1960er Jahre unter der ideengeschichtlichen Patronanz der französischen Existenzialphilosophie und dem Einfluss Sartres. Das Ich hat nichts als seine nackte Existenz, die im Motiv des Meeres und des Felsens auf dem der Leuchtsturm steht, eine weitere metaphorische Bedeutung erlangt. Auch die bretonische Bedeutung des Namens des Leuchtturms - Armen - verstärkt diesen Befund: In der deutschen Übersetzung meint der Name nackter Stein. Hier lässt sich auch ein Prometheusmotiv als weitere Bedeutungsebene hineinlesen: Das Ich ist an den Felsen geschmiedet. Es ist eine Veräußerlichung der Existenz, die den äußersten Umständen ausgeliefert zu sein scheint.

Unter dem Donnern und Dröhnen der brechenden Wellen, die während der Nacht auf den Leuchtturm eingehen, zieht sich der Ich-Erzähler zum Niederschreiben seiner Tagebucheinträge und zum Studium der immer gleichen Literatur, einem Vermeer-Bildband und einem Bildband über ein französisches Zisterzienserkloster, zurück. Das nächtliche Schreiben ist Arbeit, Kompensation und Plage zugleich. Die Schlafkammer will aber nicht  so einfach zur Dichterklause werden. Die Wörter sind nur unter größter Anstrengung zu Papier zu bringen: „Ungezähmte Worte. Ich verstehe mich nicht darauf, sie zu überrumpeln. Kann nur mit Bedacht vorgehen, die Zugänge sichern. (…) Als endlich Worte zum Vorschein kommen, bleibe ich hinter ihnen zurück.“

Der Kampf mit dem Meer, der als uralter Topos der Geschichte zugrunde liegt, ist mit dem Kampf des Ich-Erzählers mit den Worten verwoben. Diese Analogie lässt sich auch auf die Formgebung und den Fortgang der Geschichte erkennen: Je stürmischer das Meer ist, umso aufgeregter und aufgewühlter ist die atmosphärische Ausgestaltung des Textes. Als sich das Meer beruhigt, sich die seemännische Existenz des Ich-Erzählers an den Alltag auf dem Leuchtrum gewöhnt hat, scheinen auch die Worte zu versiegen:  „Ich denke, mir bleibt nicht mehr viel niederzuschreiben. Ich habe nichts mehr zu erzählen. Die Wörter blockieren den Durchlass. Vielleicht gibt es weiter weg andere Wörter… Jedenfalls sollte jetzt Ruhe einkehren, damit sie ihre Chance haben.“

Die Strukturanalogie macht aber noch nicht das Eigentliche der Tagebucheintragungen aus. Tatsächlich fragt sich der Leser zu Beginn nach dem besonderen Wert, der dieses Buch laut Verlag zum Kultbuch macht.

Man muss es wohl im Atmosphärischen, in dem sich das Motiv der Isolation des Individuums und des Rückzugs aus der Welt entspinnt, vermuten. Ein Blick auf die zeitgenössische Literatur im Frankreich der 1960er Jahre erübrigt wohl den Kommentar der eklatanten Andersheit des Textes. Dem Sog der engagierten Literatur der 68er Bewegung, die nach außen in die Welt, raus aus Strukturen und Grenzen, drängt, steht ein autobiografischer Bericht entgegen, der den Leser ins Innere einer Existenz unter extremen Umständen führt. Das Leben unter Extremen entfacht(e) dabei wahrscheinlich das Interesse einer ganzen Generation, wie es oft in Besprechungen über das Buch heißt. Gerade die biografische Lesemöglichkeit, die einem durch die Vita Jean-Pierre Abrahams (1936-2003) nahezu aufgezwungen wird, emphatisiert den Eindruck dieser extremen Existenz.

Aufgrund der biografischen Note ist man schnell dazu verleitet, diese Prosa nur als Tagebucheintrag, als autobiografisches Dokument des Rückzugs zu verstehen und aufgrund dieser Tatsache zu bewerten. Die Gefahr, der man hier erliegen kann, ist es, den Text eben nur als Zeugnis und als Dokument zu lesen und seinen literarischen Anspruch zu vergessen. Aber der ehemalige Leuchtturmwärter war eben kein Leuchtturmwärter oder Chronist eines Leuchtturmes, sondern Schriftsteller. Und als solcher verantwortet er das Buch. Nicht als Leuchtturmwärter.

Liest man es nun mit dem kritischen Blick nach literarischer Treffsicherheit und poetischem Durchhaltevermögen, so ergibt sich ein eher durchwachsenes Bild. Obwohl der Text Nüchternheit vorgeben will, trieft er stellenweise von einer pathetischen Grundierung, lässt er die Atmosphäre durch Leidenspathos nahezu ersticken: „Schon lebt im Herzen der unsägliche Schmerz auf (so fern von den Sternen, von all den Lichtern).“ Ähnlich verhält es sich mit dem Versuch, Stimmung zu vermitteln. Trotz der Bemühung um atmosphärisches Schreiben liest sich manches wie edelstes Seemannsgarn: „Gewiss eines Tages werde ich wieder an Bord eines Schiffes sein, das sich tief in die Woge bohrt. Mit einer Frau auf hoher See: etwas Schöneres gibt es vermutlich nicht.“

Das Aufkommen einer Romantik des einsamen, verlorenen Seemanns, die man von Trivialliteraturen wie „Vivre fatigue“ von Jean Claude Izzo oder Morris L. Wests „The navigator“ kennt, lässt sich hier nur schwer vermeiden: „Nur ein Schmerz und mein Verlangen als Fundament für ein verwegenes Leben. Hätte sie mit mir bloß eine Bund geschlossen, die unschuldige Kälte, die aberwitzige Angst.“ Die Poesie des Rückzugs wird so schnell zum "Seemannsgarn".

Auch die Beschreibungskraft der Sprache ist nicht immer von einer besonderen Innovationsleistung geprägt: „Doch die wahre Angst kommt auf, wenn die See allzu ruhig ist.“ Dass das Meerestönen mit Kanonendonner verglichen wird, lässt wohl eher an Handkes Schelte über die Beschreibungsimpotenz, als die Möglichkeiten einer beweglichen Sprache des Dichters denken.

Selten entwickelt sich eine Dynamik in den Interaktionen der Figuren, die dem Text eine authentische literarische Aura gibt: „Im Mundwinkel des Schatten eines Lächelns, die Gedanken irgendwo. Obschon wir gerne beisammen sind, vermeiden wir noch immer, einander direkt in die Augen zu sehen.“ Zu oft scheint der literarische Anspruch der tagebuchähnlichen Eintragungen durch eine Seefahrerromantik und einem ‚Der Mann und das Meer‘-Pathos verstellt. Dennoch finden sich immer wieder Formulierungen, die den Leser auch doch wieder versöhnen, obwohl sich selbst dem Besonderen immer wieder das Abgeschmackte beistellt: „Nie kehre ich zweimal auf dieselbe Weise aus Morpheus‘ Armen zurück. Mögen sich die Dinge auch nicht von der Stelle bewegen: Der Weg zu ihnen ist stets ein anderer.“

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Rückzugsgestus nicht nur eine existenzialistische Introspektion eines jungen Einzelgängers ist, sondern dass sich hier ein anderer, alter Männlichkeitstopos den Weg bahnt: die heroische Romantik des einsamen Mannes, der Leid und Unbilden des Meeres auf sich nimmt. Dass einem solchen Projekt das literarische Potential dennoch nicht abzusprechen ist, beweist Hemingway. Dass dieser Befund auch auf Abrahams Werk zutrifft, sei hier nicht behauptet. - Die relativ späte Erstübersetzung ins Deutsche von 2010 von der österreichischen Schriftstellerin und Übersetzerin Ingeborg Waldinger, die dieser Besprechung zugrunde liegt, kann darauf Antwort geben.

Mit dem Leser und dem vorliegenden Buch verhält es sich vielleicht so, wie mit dem Ich-Erzähler und dem Leuchtturm: „Damals dachte ich über den Ort Bescheid zu wissen. Hatte das Verlangen, auf diesem Leuchtturm zu leben. Es war die beste Art, ihn nicht mehr zu sehen.“

Jean-Pierre Abraham: Der Leuchtturm. Aus dem Französischen übertragen von Ingeborg Waldinger. Jung und Jung, Salzburg 2010. 160 Seiten, 17,95 Euro.

 

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