Provinzmusiker mit Hochwasserhose
BRUCKNER JAHR / BUCHBESPRECHUNG / PESCHKA
08/07/24 Man nehme ein wiederauferstandenes Musikgenie, einen resoluten Affen, einen aggressiven Chor und jede Menge oberösterreichischen Charme – und schon hat man die Zutaten für Karin Peschkas Theaterstück Bruckners Affe zusammen. Basierend auf einer wahren Begebenheit, gekonnt, gewitzt und ernsthaft ausgeschmückt. Premiere ist heute Dienstag (9.7.) im Stift Wilhering.
Von Christina König
Der Weihrauchkessel klirrt, Trauergäste flanieren an einem überdimensionierten Sarg vorbei, der Kaiser hält eine Rede über seinen begnadeten Untertan, ein Chor singt eine von Bruckners Motetten. Es ist Bruckners Begräbnis. Jedenfalls so lange, bis es aus dem Sarg heraus schimpft und ächzt und der angeblich Verstorbene wieder herauskraxelt, um über die zu tiefe Intonation des Chors zu stänkern und seine neunte Sinfonie fertig zu schreiben.
So beginnt Karin Peschkas Theaterstück Bruckners Affe, das die mehrmals für den Österreichischen Buchpreis nominierte Autorin pünktlich zum Bruckner-Jahr geschrieben hat und das nun als Stationentheater beim theaterSpectacel Wilhering aufgeführt wird. Ausgangspunkt des Stücks ist eine reale Begegnung Bruckners mit einem Affen im Stift Wilhering, wo er öfter seine Sommerfrische verbracht hat. Diese Begegnung, so heißt es, soll ihn zu einem Thema im dritten Satz seiner ersten Sinfonie inspiriert haben; Dem Trio im Scherzo. Und Karin Peschka wäre nicht Karin Peschka, wenn sie daraus nicht ein herrlich bissiges und zugleich zum Denken anregendes Werk machen würde.
Gleich vorweg: Man muss sich nicht mit Bruckner auskennen, nicht einmal mit klassischer Musik, um dieses Stück zu genießen. Alles, was man mitbringen sollte, ist eine Freude an Kuriosität – und ein Interesse am Innenleben und Werdegang eines Künstlers, der auch zweihundert Jahre nach seinem Tod noch die Menschen begeistert.
In vier Akten begleiten wir Bruckner rückwärts durch sein Leben. Den alten Bruckner (auch im Stück so bezeichnet) gedankenverloren beim Komponieren, grantelnd, desillusioniert. Den mittleren Bruckner voller Zweifel mit seinem Affen. Den jungen Bruckner, noch voller naiver Lebensfreude glaubend, er könnte die Musik aufgeben und ein Bauer mit „an g’scheit’n Einkommen“ werden, wenn er nur seine Anna heiraten könnte. Die drei Bruckners interagieren miteinander, der mittlere befragt den alten zu Erfolgen, um seine Zweifel über seinen Wert auszuräumen, der alte macht geheimnisvolle bis strenge Andeutungen, sie veräppeln einander, umarmen sich. Alles mit rauer Herzlichkeit, mit Humor und Verletzlichkeit, die einem die drei Bruckners sofort näherbringen.
Das Stück ist nur kurz, dennoch gelingt es Peschka, Bruckners Charakter und seine Lebensthemen auf den Punkt zu bringen. Seinen Zählzwang, der ihn an den Rand eines Nervenzusammenbruchs bringt, seinen Glauben, seine Zweifel, ob mehr von ihm bleiben wird als „a Mess in einer klan Dorfkirchn, mit einer verstimmten Orgel und miserabel intoniert“. Seine unerwiderte Verehrung von viel zu jungen Frauen („Um die Hand Ihrer Tochter tät ich bitten.“ – „A Stelzn kannst ham, oder a Schulterscherzl.“). Besonders eindringlich ist der dritte Akt mit dem Affen in seinem Käfig, angelegt als kurze Kammeroper, bei der man sich die Frage stellt: Wer ist nun wirklich gefangen, Bruckner oder der (vermenschlichte) Affe? Eine Szene, die einem Lust auf das Stationentheater in Wilhering macht, ohne gleichzeitig das Gefühl zu vermitteln, mit dem rein schriftlichen Stück etwas zu verpassen. Das macht Peschka in ihren Regieanweisungen großartig: den Leser glauben zu machen, quasi dabei zu sein.
Wunderbar auch die große Stärke des Stücks, die Charakterisierung, die stark dialektal gefärbte Sprachmelodie, die einen sofort mitten ins Herz von Oberösterreich setzt. Man schmunzelt über den herben Charme, wenn die Begräbnisbesucher sich mit „Gusch!“ – „Söba gusch!“ anpfeifen, über das Phlegma der Landsleute („Eh sche“), besonders über das sauertöpfische „Jessas! Marandana!“ der Haushälterin Frau Kathi. Überhaupt eine herrlich resolute Figur, die dem Kaiser mal ordentlich die Meinung sagt über die Ausbeutung der Arbeiterklasse. Wer es lustig mag und noch mehr von diesen Sprachperlen sucht, wird die größte Freude mit dem ersten Akt haben: Es hat schon fast Slapstick-Komik, wenn Kaiser und Bruckner-Kritiker Hanslick gemeinsam versuchen, Bruckner doch bitte zurück in den Sarg zu kriegen, der Grundstein für eine gelungene Karriere sei ja bekanntlich das Gestorbensein. Ernster wird es zwischendurch mal, aber besonders später – Peschka hält hier mit Seiltanzakrobatik die Balance. Es wird nie zu viel oder zu wenig.
Für alle, die noch etwas tiefer graben wollen in Bruckners Welt und auch in Peschkas Schreibprozess, dem sei der Essay am Ende des Stücks ans Herz gelegt. In kurzen mäandernden Episoden widmet sie sich Bruckners Briefen, dem Wert von zehn Gulden zu seiner Zeit, ja sogar einem seiner Lieblingsgerichte, der Krebsensuppe (mit Rezept, das die Verfasserin dieser Zeilen allerdings nicht ausprobiert hat). Ebenso schreibt sie übers Schreiben für Publikum, über die Unterschiede zwischen dem Verfassen eines Theaterstücks und eines Romans und über ihre Antwort auf die Frage ihres Umfelds, was sie zurzeit so mache: „Ich brucknere.“
Am Ende des Stücks stellt sich der alte Bruckner vor, vor Gott zu stehen und als sein Eingangsticket zum Himmel seine Musik anzuführen. Gott antwortet darauf dasselbe, was die Leser des Stücks auf die Frage antworten könnten, ob sich die Lektüre gelohnt habe: „Passt scho.“
Karin Peschka: Bruckners Affe. Ein Theater und ein Essay. Otto Müller Verlag, Salzburg, 2024. 143 Seiten, 24 Euro – www.omvs.at
Premiere von Bruckners Affe ist heute Dienstag (9.7.) im Areal des Stiftes Wilhering bei Linz – Termine bis 2. August – www.theaterspectacel.at