Kinder an die Macht!
IM KINO / MOONRISE KINGDOM
21/06/12 Über Wes Anderson’s Regiedebüt „Bottle Rocket“ im Jahr 1998 hat Martin Scorsese einst geschrieben: der Film zeuge von einer großen Liebe, die der Regisseur für seine Charaktere – und für seine Mitmenschen – habe und die im heutigen Kino selten sei.
Von Andreas Öttl
In den vergangenen 12 Jahren ist einiges geschehen. Wes Anderson hat vor allem seine Filmsprache weiter verfeinert und sogar sein eigenes Genre begründet: die skurrile Retro-Komödie. Es mag etwas verwundern dass er mit diesen originellen, aber zumeist belanglosen Filmen zum Darling der internationalen Filmwelt avanciert ist – allerdings ist die Konkurrenz an respektablen amerikanischen Autorenfilmern ja nicht allzu groß.
Was jedoch die Liebe zu seinen Charakteren betrifft, so ist diese zunehmend in den Hintergrund getreten zugunsten einer Lust an der Stilisierung. Sie liefert den Beweis dafür, dass Wes Anderson mittlerweile jemand anderen noch mehr liebt als seine Charaktere: sich selbst. Möglicherweise ist dies aber auch nur das Resultat der übermäßigen Lobeshymnen. Sein neuer Film „Moonrise Kingdom“ ist dann auch perfekt durchkomponiert und strotzt vor liebevollen Details, bleibt jedoch oberflächlich. Es ist jene Art von Film, deren Schauwerte für einen Moment durchaus verzücken können, von dem jedoch wenig haften bleibt.
Die in den sechziger Jahren auf einer kleinen Insel spielende Geschichte über die erste Liebe zweier junger Pfadfinder hat zwar einige schöne Momente – besonders jene, wo die beiden alleine sind – jedoch sind die dabei hervorgerufen Gefühle nicht wahrhaftig, sondern lediglich das Produkt der Manipulation des Regisseurs. Im Grunde könnte man damit zufrieden sein. Wenn das junge Paar sich an einem einsamen Strand zu den Klängen von Francoise Hardy’s „Le temps d’amour“ zum ersten Mal küsst, dann hat dies mindestens so viel Leinwandmagie wie die legendäre Strandszene von Burt Lancaster und Deborah Kerr im Hollywood-Klassiker „Verdammt in alle Ewigkeit“.
Allerdings bleibt aber das unbefriedigende Gefühl, keine realen Menschen gesehen zu haben, sondern lediglich das Fantasiekonstrukt eines in der Post-Pubertät stecken gebliebenen Regisseurs, der lieber eine besonders schöne Sandburg baut als eine echte. Wes Anderson ist mit dieser Weigerung, erwachsen zu werden, im amerikanischen Kino bei weitem nicht alleine, sondern gehört zu jenen, die zu einer Infantilisierung des zwischen Mainstream und Arthouse angesiedelten US-Kinos beigetragen haben. Auch so grundverschiedene Regisseure wie Tim Burton und Quentin Tarantino hätten vielleicht das Talent, nicht jedoch den Willen, einen wirklich bedeutenden Film zu machen. Viel lieber widmen sie ihr Leben der Umsetzung der eigenen Bubenträume.
So sehr man die visuelle Raffinesse von „Moonrise Kingdom“ bewundern kann, so sehr ist der Film auch mit Bildern und Tönen überfrachtet, die keine Pause für eine zwischenzeitliche Reflexion zulassen. Und so sympathisch man den Film grundsätzlich finden kann, so sehr mangelt es ihm an Reife. Doch halt: Vielleicht ist es ja genau dies, was Wes Anderson anprangern will. Denn die einzigen, die im Film Reife zeigen, sind die beiden jugendlichen Hauptfiguren. Die erwachsenen Charaktere hingegen verhalten sich wie Cartoon-Figuren. Bezeichnend, dass diese zwar von Top-Darstellern – Edward Norton und Tilda Swinton – dargestellt, jedoch in schauspielerischer Hinsicht ebenfalls von den jungen, unverbrauchten Gesichtern in den Schatten gestellt werden.
Kinder an die Macht also? Wenn dem so ist, dann sollte dies aber auch in Bezug auf die Filmwelt gelten die lieber starr an einmal etablierten, oftmals über Gebühr gefeierten Regisseuren festhält anstatt neuen Talenten eine Chance zu geben, die wirklich noch etwas zu sagen haben...