Rita mit der großen Klappe
NEU IM KINO / WE WANT SEX
14/01/11 Nigel Cole verfilmt mit “We want Sex” (Made in Dagenham) den ersten Streik weiblicher Arbeiter in Großbritannien. Er und Drehbuchautor William Ivory versuchen nahe an den Ereignissen aus dem Jahr 1968 zu bleiben, die dazu führten, dass 1970 Frauen den Männern arbeitsrechtlich gleich gestellt wurden.
Von Michael Russ
Obwohl sie wenig Grund dazu haben, ist die Laune der 187 Näherinnen in den Ford-Werken im Londoner Vorort Dagenham gut. Sie arbeiten in einer völlig heruntergekommenen Halle mit undichtem Dach an Autositz- und Autotürbezügen, im Sommer ist es heiß, im Winter kalt. Trotzdem wird viel gelacht. Männer, die sich in die Halle verirren, werden gnadenlos aufgezogen. Als sie von der Firmenleitung gehaltsmäßig auf ungelernte Arbeitskräfte herabgestuft werden, ist jedoch Schluss mit lustig. Sie drohen mit Streik.
Der für die Frauen zuständige Gewerkschafter Albert (Bob Hoskins) lädt neben der Belegschaftsvertreterin Connie (Geraldine James) auch Rita (Sally Hawkins) ein, am Treffen mit den Bossen teilzunehmen. Wegen ihrer großen Klappe, wie er später augenzwinkernd gesteht. Monty (Kenneth Cranham), der für Ford Dagenham zuständige Chefgewerkschafter schärft den Frauen ein, bei den Verhandlungen schön ruhig zu sein und nur in den richtigen Augenblicken zu nicken. Als er jedoch einen faulen Kompromiss aushandelt, der den Frauen gar nichts bringt, platzt Rita der Kragen. Sie erklärt nachdrücklich, was sie von den Arbeitsbedingungen und der Vorgangsweise der Geschäftsleitung hält: Nichts! Die Frauen ziehen unter Applaus ihrer männlichen Arbeitskollegen einen Streik durch.
Als die Näherinnen für den Streik schriftlich verwarnt werden und Monty wieder kalmiert, ergreift Rita erneut die Initiative. Sie überzeugt die Kolleginnen davon für „sex equality“, die Gleichbehandlung der Geschlechter, in den unbefristeten Streik zu treten. Der Ausstand soll erst beendet werden, wenn die Frauen gleich gut bezahlt werden wie die Männer. Während der Streik immer weitere Kreise zieht und Rita vor Arbeiterinnen in ganz Großbritannien spricht, beginnt die anfänglich Sympathie der Männer für die Sache nachzulassen. Als das Sitzbezügelager leer ist, kann die Arbeit an Escort und Cortina nicht mehr fortgeführt werden, 5000 Männer werden freigestellt. Die Männer werden zunehmend feindselig, auch Ritas Familienleben leidet, aber es bilden sich unerwartete Allianzen und schließlich interessiert sich auch die Wirtschafts- und Arbeitsministerin Barbara Castle (Miranda Richardson) für die Sache.
Wie in „Grasgeflüster“ und „Kalender Girls“ setzt Nigel Cole auch in „We want Sex“ voll auf Frauen. Sally Hawkins als Rita kann ihr Können dabei voll ausspielen. Ein bisschen linkisch ist sie, diese Rita. Wenn sie Schuhe mit höheren Absätzen trägt, hat man immer das Gefühl, dass ihre Füße nicht so wollen wie sie. Aber genauso überzeugend wie sie die Unsichere spielt, gibt sie die Frau, die weiß, dass sie das Richtige tut. Es macht richtiggehend „Klick“ und sie wird zur redegewandten Kämpferin, die, gerade weil ihr das Wissen um politische Zusammenhänge fehlt, ehrlich für Gerechtigkeit einsteht. Die Rollen sind durchgehend gut besetzt. Bob Hoskins als listiger Unterstützer der Frauen ist gut wie schon lange nicht mehr. Daniel Mays als mit der Situation überforderter, zwischen Liebe und Frust hin und her gerissener Ehemann Eddie spielt berührend.
Manchmal kommt eine Spur zu viel Pathos auf, aber die Atmosphäre der späten 60er Jahre ist gut getroffen. Macht- und Gewinnstreben der Konzerne waren auch damals schwer zu bremsen, aber die Arbeitsministerin Barbara Castle machte vor, was möglich ist, wenn man sich weder einschüchtern noch korrumpieren lässt.
Der Originalfilmtitel lautet „Made in Dagenham“. Zwar wurden die Darstellerinnen um einiges attraktiver gestylt, als die doch sehr bieder wirkenden Frauen in den kurzen Originaleinspielungen an Anfang und Schluss. Dass der Film aber wegen des kleinen Gags, bei dem bei einer Demo am nicht vollständig ausgerollten Transparent statt „We want Sex Equality“ nur „We want Sex“ zu lesen ist, im deutschen Sprachraum mit diesem Titel versehen wurde, hat er weder verdient noch nötig.