Offen für die Wahrheit des Wirklichen
IM PORTRÄT / GERHARD WIMBERGER
29/08/13 Der Komponist Gerhard Wimberger feiert am Freitag (30.8.) seinen 90. Geburtstag. Sein jüngstes Werk - „Passion Giordano Bruno“ - wird am Samstag (31.8.) in der Mozart-Matinee uraufgeführt. Gerhard Wimberger erzählt von der Faszination des als Ketzer verbrannten italienischen Gelehrten, von der Gefährlichkeit jeder Ideologie - und von der „Kluft zwischen den heutigen Komponisten und denen, die unsereins bezahlen“.
Von Heidemarie Klabacher
Querdenker? „Giordano Bruno war wohl insofern ein Querdenker, als er für seine Zeit und seine Umgebung äußerst provozierende Gedanken geäußert hat.“ Giordano Bruno - 1548 bis 1600 - sei ein fabelhafter Vortragender gewesen und ein großer Charismatiker. „Und er hatte ein fabelhaftes Gedächtnis! Allein dadurch war er seinen Gegnern überlegen.“ Ein „Querdenker“ sei der Priester, Philosoph und Astronom höchstens insofern gewesen, „als er mit seinen revolutionären Gedanken zwar Recht hatte, diese Gedanken aber gegen die christliche Lehre verstießen – in einer Zeit, in der so etwas mit dem Feuer bestraft wurde“.
So habe Giordano Bruno von der Unendlichkeit des Universums gesprochen (und damit quasi Himmel und Hölle verdrängt) oder als einer der Ersten die Evolution vorausgeahnt: Wimberger zitiert einen Satz aus der Feder Giordano Brunos: Jegliche Spezies deutet die Natur zuerst an, bevor sie sie ins Leben treten lässt. So bildet immer die eine Gattung den Ausgangspunkt der andern. „Ein ungeheurer Gedanke, den Darwin dann zum Zentrum seiner Evolutionstheorie gemacht hat. Man kann sich vorstellen, wie die Kirche damals reagiert hat, bei einem solchen Gedanken, der der Genesis widerspricht, wenn ein Pater daherkommt und sagt, „nicht Schöpfung, sondern Entwicklung“.
Wie ein roter Faden ziehen sich Werke geistig-spirituell-theologischen Inhalts durch das Schaffen Gerhard Wimbergers: „Lebensregeln. Katechismus mit Musik“ heißt ein frühes Werk aus 1971/72. „Fürst von Salzburg. Wolf Dietrich. Szenische Chronik für Musik“ wurde 1987 vom Landestheater in der Felsenreitschule uraufgeführt, „Quaestio aeterna – Deus. Fragen nach Gott“ 2003 ebenfalls in Salzburg. Das Chor- und Orchesterstück „Tagebuch 1942 – Jochen Klepper“, über den evangelischen Dichter, der mit seiner zum Christentum konvertierten jüdischen Frau angesichts des Nazi-Terrors Selbstmord beging, kam erst 2010 in der Herz-Jesu-Kirche in München zur Uraufführung.
„Ich war Zweiten Weltkrieg dreieinhalb Jahre lang beim Militär bei der Luftwaffe. Und ich war in Russland in einem Partisanenengebiet zwischen Smolensk und Moskau - und zwar in den Wintermonaten 1942/43: Das war der Winter von Stalingrad“, erinnert Gerhard Wimberger. „Gott sei Dank“ sei es in diesem Partisanengebiet zufällig total ruhig gewesen: „Ich habe keinen Partisanen gesehen.“ Danach sei er auf die Flugzeugführerschule versetzt und zum Bomber ausgebildet worden, aber wegen Benzinknappheit nicht mehr zum Einsatz gekommen. „Darum kann ich am Freitag auch meinen neunzigsten Geburtstag feiern.“
Das unmittelbare Erlebnis der Diktatur und der Ideologie – „ja der ‚Religion’ Nationalsozialismus“ – habe ihn zum Gegner jeder Ideologie gemacht, sagt Gerhard Wimberger. Viele seiner Vokalstücke basieren auf Texten, die in irgendeinem Sinne mit Ideologie und dem Widerstand gegen Ideologie zu tun haben. „Die Quellen - ja, auch religiöse Quellen - zwingen einen doch ziemlich, darüber nachzudenken, inwieweit es legitim ist, auf diesen nicht sachlich belegbaren Visionen oder Philosophien große politische und gesellschaftliche Macht aufzubauen.“
Die Einsicht in die Gefährlichkeit jedweder Ideologie habe ihn auch auf die Figur Giordano Brunos gebracht, so Gerhard Wimberger. „Der hat ja total gegen-ideologisch gedacht.“ Bruno habe gegen die Lehren der damals alles beherrschenden katholischen Kirche seine eigenen Lehrgebäude entwickelt – und mit dem Leben bezahlt.
Ganz anders liege der Fall bei Wolf-Dietrich: „Der war als Fürst-Erzbischof völlig in das christliche Gedankengebäude eingebunden. Aber allein die Tatsache, dass er zehn Kinder hatte, zeigt schon, dass er sich sehr frei seinen theologischen Pflichten gegenüber benommen hatte.“
Wieder ganz anders der Ansatz im „vertonten Katechismus“, dem Werk „Lebensregeln. Katechismus mit Musik“, das im Rahmen des Kunstprogramms der XX. Olympischen Spiele unter seiner eigenen Leitung in München uraufgeführt wurde: „Das ist eine fast kabarettistisch stark überzeichnete Gesellschaftskritik - und wurde auch dementsprechend stark verrissen“, erinnert sich Wimberger. Besonders der BR-Rundfunkrat habe sich damals stark gegen die Wimberger’schen „Lebensregeln“ ausgesprochen, „weil Bestechlichkeit von hohen geistlichen Würdenträgern ein Thema war“ und er dazu auch noch gregorianischen Choral verwendet habe.
„Es ist eine Seite von mir, ernste Dinge wie Ideologie auch einmal zu karikieren und so in das kompositorische Gesamtdenken einzubeziehen: Das sind dann eben ernste Mahnungen verpackt in ironische Farben.“
Die „Passion Giordano Bruno“ dagegen sei keineswegs polemisch, betont Gerhard Wimberger: „Ein logischer Weg führt über die Jahrzehnte herauf zu diesem Bericht über das Leben eines großen Mannes, der in seiner riesigen Weitsicht Dinge vorausgedacht hat, die Jahrhunderte später eine primäre Rolle im Geistesleben spielen werden.“
Bewusst habe er das Wort „Oratorium“ im Titel vermieden: „Damit ist man automatisch auf der Schiene der großen klassischen Oratorien und die sind alle sehr religion-preisend.“
Was erwartet das Publikum bei der „Passion Giordano Bruno“ für Bassbariton, Sprecher, gemischten Chor und Orchester? Der Bariton singt wörtliche Zitate von Giordano Bruno, die er selber aus den zahlreichen Schriften Brunos zusammen- und in einen Sinnzusammenhang gestellt habe, berichtet der Komponist: „Die Worte Brunos ergeben inhaltlich-sachlich einen roten Faden.“
Der Sprecher erzählt dazu die Lebensgeschichte in Schlagworten: „Ganz kurz und prägnant“, betont Wimberger. Er habe sich bemüht, den Sprecher nicht zu detailverliebt zu behandeln. In der Partitur stehe über dessen Part „In berichtender Sachlichkeit“. Der Chor wiederholt singend zentrale Gedanken. Daher sei der Chorsatz zu Gunsten der Wortverständlichkeit sehr einfach, gegen Schluss oft nur in Oktavparallelen geführt.
Mit einer Frage Giordano Brunos, die auch den Komponisten Gerhard Wimberger seit jeher beschäftigt, endet die Passion: „Ist eine Zukunft zu denken, offen für die Wahrheit des Wirklichen?“ (Wird fortgesetzt)